Von der East-Coast-Elite und Londons Subkulturen

Über Don Winslows Roman „London Undercover“

Von Stefan SchweizerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schweizer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die zuletzt erschienenen Werke Don Winslows sind – gelinde gesagt – etwas schwierig. „Vergeltung“ erinnert an actionreiches Hollywood-Spektakel à la „The Expendables“ und es drängt sich der Verdacht auf, dass Winslow dieses Werk mit dem Ziel konzipiert hat, dass es später mal ein Kino-Hit werden soll. Die an sich wichtige Thematik des islamistischen Terrorismus reduziert sich dabei auf den Rachefeldzug eines von einem Dschihad-Anschlag betroffenen US-Bürgers. Den Figuren fehlt es an Innenleben. Dieses Manko wird mehr schlecht als recht durch langwierige – und dysfunktionale – technische Beschreibungen von Waffen und taktischen Manövern von Special Forces substituiert. Bei „Missing New York“ wird evident, dass Winslow eine möglichst breite Leserschaft ansprechen möchte und sich deshalb an populären US-amerikanischen-Fernsehformaten wie „The first 24 Hours“, „Cold Case Files“ und „Autopsie“ orientiert hat – sehr zu Lasten der literarischen Qualität.

Was den beiden neuesten Winslow-Romanen fehlt, nämlich innovative Impulse zu setzen, die sich abseits vom Mainstream-Genre-Typischen bewegen, wie er dies in „Savages“ und „Kings of Cool“ vollzogen hat, kann er zumindest ansatzweise im jetzt im Suhrkamp Verlag erschienenen „London Undercover“ einlösen. Allerdings muss dazu gesagt werden, dass „London Undercover“ bereits aus dem Jahr 1991 stammt.

Der aus ärmsten Verhältnissen stammende Neal Carrie erhält den Auftrag Allie Chase zu finden. Allie ist die minderjährige Tochter eines prominenten Senators, die untergetaucht ist und die rechtzeitig zur Nominierung ihres Vaters als Vizepräsidentschaftskandidat der Demokraten wieder aus der Versenkung auftauchen soll. Senator Chase hat sich mit diesem heiklen und äußerst diskret zu behandelnden Problem an das private Sicherheitsunternehmen einer wichtigen East-Coast-Bank gewendet, bei der Carey angestellt ist. Carey macht sich auf die Suche nach Allie und entdeckt dabei so manches schmutzige Familiengeheimnis, die symbolisch für die moralische Verruchtheit des alten East-Coast-Geldadels stehen. Carey verfolgt Allies Fährte bis nach London und taucht dort in die Welt der Subkulturen ein, um die junge Frau ausfindig zu machen. Den heutigen Leser befremden Winslows detaillierte, aber doch anachronistisch wirkende Schilderungen der Punk- und Drogenszenen etwas, da sich London inzwischen gewandelt hat. Doch Carey hat nicht nur mit Feinden in der alten Welt zu kämpfen, sondern der Feind lauert auch in den eigenen Reihen und in einem packenden Showdown zeigt sich, ob sich der Underdog gegen die Interessen der Reichen und Mächtigen durchzusetzen vermag.

In „London Undercover“ zeigt Winslow eine stilistische Leichtigkeit und Meisterschaft, die er zuletzt hat vermissen lassen. Feine Ironie, unkonventionelle Stilmittel und leichtfüßige Dialoge ermöglichen ein großes Lesevergnügen. Exemplarisch sei die Stelle genannt, an der über Allies Drogenprobleme gesprochen wird. Dort heißt es, dass sie genug Drogen in ihrem Zimmer habe, um ein Grateful-Dead-Konzert zu versorgen. Wer Grateful-Dead-Konzerte kennt, weiß wie maßlos diese Übertreibung sein muss, aber zugleich auch, dass Allie ein ernstzunehmendes Drogenproblem hat. Wie meistens bei Winslow bleiben die Innenleben der Figuren etwas unterbelichtet und der sich für Handlungen verantwortlich zeichnende psychologische Kausalnexus bewegt sich so gut wie nie über ein simples Stimulus-Response-Schema hinaus. Dennoch machen die humorvolle Kontrastierung von „alter“ (London) und „neuer Welt“ (New York), die Demaskierung der korrupt-degenerierten amerikanischen Politikerklasse und die faszinierenden Schilderungen einiger Subkulturen leidlich Spaß. Und spannend ist „London Undercover“ auch, denn am Ende wird es für Neal Carey richtig eng und das Finale unterscheidet sich von der gängigen Hollywood-Norm.

Fazit: „London Undercover“ hebt sich wohltuend von den neuesten Winslow-Veröffentlichungen ab. Aber über dem Berg ist Winslow noch lange nicht, sondern weiterhin auf Bewährung. Und so dürfen wir voller Spannung auf „Das Kartell“ warten, das im Juni bei Droemer erscheinen wird. Mit einem angekündigten Volumen von über 800 (!) Seiten wird das zumindest vom Umfang her ein ziemliches Brett.

Titelbild

Don Winslow: London Undercover. Neal Careys erster Fall.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015.
370 Seiten, 9,99 EUR.
ISBN-13: 9783518465806

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