Der Niederrhein als Schauplatz europäischer Geschichte
Ein Sammelband erzählt und illustriert sieben Jahrhunderte Viersener Stadt- und Kreishistorie
Von Irina Böhm
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer Verein für Heimatpflege e.V. Viersen arbeitet seit fast 60 Jahren an der Erhaltung der Kultur und der Aufarbeitung der Geschichte der Stadt und des Kreises Viersen. Im Mai 2014 wurde unter seiner Mitwirkung der Viersener Salon in der Villa Marx eröffnet. Die erste dort gezeigte Ausstellung „Der Niederrhein – Schauplatz europäischer Geschichte“ basiert auf dem gleichnamigen Band des Historikers Leo Peters. Die Aufsatzsammlung setzt sich aus 50 Beiträgen zusammen, die bereits in der Rheinischen Post als Serie publiziert wurden und einen „starken und langanhaltenden Lesezuspruch“ erfahren haben. Der Kreis Viersen mit seinen Städten „Viersen, Kempen, Neersen, Brüggen oder Venlo“ steht dabei im Vordergrund.
Eröffnet wird das Werk von vier Grußworten, neben dem Autor selbst treten Norbert Kühn, Leiter des LVR-Fachbereiches Kultur, Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, Staatssekretär für Kultur a. D. sowie der stellvertretende Chefredakteur der Rheinischen Post, Horst Thoren, in Erscheinung. Der Autor beginnt mit dem Jahr 1312 und bewegt sich, chronologisch von Epoche zu Epoche voranschreitend, von einem wichtigen Ereignis zum nächsten. Dabei orientiert er sich vorwiegend an Artefakten, an Straßennamen oder Inschriften. Hinter allem präsentiert er eine Geschichte. Die Darstellung endet im Jahr 1947. Neben der Regionalgeschichte wird zugleich auch ein Stück europäischer Geschichte im Hinblick auf Grenzverschiebungen thematisiert.
Die Beiträge vermitteln in ihrer Gesamtheit ein breit gefächertes Wissen: Neben Bauwerken wie heute noch vorhandenen Burgen oder Schlössern, Denkmälern, Altären, Schulen und Kirchen der Umgebung fokussiert Peters ebenso thematische Aspekte aus Religion, Politik, Natur und Wirtschaft. So erfährt der Leser etwas über die Pest, Napoleon, die Industrialisierung, den Ersten und Zweiten Weltkrieg, über die schweren Nachkriegsjahre, Kinderarbeit, die Inflation oder auch einen Waldbrand. Auch zahlreiche regionaltypische Gegebenheiten, wie z. B. die Gedenkfeier zum 540. Todestag von Thomas Hemerken von Kempen im Jahre 2010 oder die Umgestaltung der Burg Uda zum Museum, sowie eine Vielzahl von Persönlichkeiten (darunter Friedrich von Saarwerden oder Josef Kaiser) finden Eingang in den Sammelband.
Das Buch ist reichhaltig bebildert und durch zahlreiche auf den Ort Viersen bezogene Erfahrungsbeispiele sehr anschaulich. Dabei ist der Autor bemüht, den Bezug zum „Hier und Jetzt“ herzustellen, indem er die Geschichte von damals bis zu einem aktuellen Ereignis weitererzählt. So geht er beispielsweise im Rahmen des Aufsatzes „Gegen den Widerstand der Katholiken“ auf das Jahr 2010 ein, als das 65-jährige Ende des Nationalsozialismus gefeiert wurde. In einem anderen Beitrag, „Der Saint Napoleon in Neersen“, verweist Peters auf das Jahr 2013, als in den Medien an Napoleon erinnert wurde. Er versucht, auf diese Weise eine Fülle heterogener Informationen einzubringen – dies erschwert einerseits die Lektüre, gestaltet sie aber andererseits zugleich interessant.
Jeder Aufsatz folgt einem einheitlichen Aufbau: Auf der linken Seite steht das jeweilige Jahr im Großformat, auf der rechten die Überschrift mitsamt einer kurzen Inhaltsangabe. Daran schließt sich der jeweilige Beitrag an. Der Sammelband verfügt über ein Abbildungsverzeichnis; allerdings werden einzelne Literaturhinweise lediglich am Ende eines jeden Beitrages angeführt, es fehlt ein zusammenhängendes Literatur- bzw. Quellenverzeichnis ebenso wie ein Anmerkungsapparat; letzteres Defizit ist vermutlich der populärwissenschaftlichen Darbietung geschuldet.
Die sehr liebevoll und übersichtlich gestaltete Publikation ist der Versuch, sich nicht nur mit der Stadtgeschichte Viersens auseinanderzusetzen, sondern diese auch zu bewahren. Die Auswahl der Themen ist gut getroffen. Angereichert durch viele passende Bilder behandelt der Band einen umfangreichen Themenkomplex, der durch die zahlreichen kleinen und leicht verständlich geschriebenen Aufsätze einen epochenübergreifenden Überblick über den Kreis Viersen bietet.
Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen