In der Rolle von Juniorpartnern

Österreich-Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg: Über einen von Nicola Labanca und Oswald Überegger herausgegebenen Sammelband

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hundert Jahre sind vergangen, seit Italien im Mai 1915 dem Nachbarn Österreich-Ungarn den Krieg erklärte. Zu „Schlafwandlern“ hat Christopher Clark all diejenigen erklärt, die den Ersten Weltkrieg – die ‚Urkatastrophe‘ des 20. Jahrhunderts – herbeiführten. Dieses Etikett trifft wohl auch auf die Verantwortlichen in Italien und Österreich zu, wenn man den Beiträgern des vorliegenden Bandes folgen will.

Über einen langen Zeitraum hinweg verharrte die zeithistorische Forschung der beiden Länder in freundlicher Distanz gegenüber. Erst in letzter Zeit kam es zu Kooperationen, deren Blick allerdings auf die österreichisch-italienischen Grenzregionen beschränkt blieb, ohne einen breiter angelegten, transnationalen Rahmen zu erfassen. Deshalb überlebten in der Öffentlichkeit zahlreiche Mythen, die etwa den „Verrat“ Italiens am Bündnispartner beinhalteten oder das „Im Felde unbesiegt“. In Italien entstand der Mythos von der im Krieg vollendeten nationalen Einheit. Daher trafen sich im Sommer 2012 in Bozen österreichische und italienische Historiker, um sechs Schwerpunktthemen zu diskutieren und in Parallelgeschichten festzuschreiben, die sowohl  in deutscher als auch italienischer Sprache veröffentlicht werden sollten. Jüngste Veröffentlichungen konnten daher naturgemäß nicht mehr berücksichtigt werden. Gleichwohl bietet gerade das komparatistische Vorgehen interessante Ergebnisse.

So zeigen die Beiträge von Martin Moll und Günther Kronenbitter, welcher Affront darin bestand, dass die k. und k. Monarchie in der Julikrise zwar mit Deutschland intensive Kontakte pflegte, den Dreibundpartner Italien aber nicht über die aggressive Vorgangsweise in Bezug auf Serbien informierte, weshalb Italien den Bündnisfall für nicht gegeben ansah und im Zustand der Neutralität verblieb. Dieser wiederum führte dazu, dass sich im liberalen Italien immer mehr Politiker den westlichen Demokratien zuwandten, zumal sich die kriegsführenden Mittelmächte zunehmend in Militärdiktaturen („Kriegsabsolutismus“) verwandelten und Österreich-Ungarn jede Verhandlung über die italienischsprachigen Gebiete Trentino, Friaul und Triest ablehnte. Ja, es hat wohl dort sogar einflussreiche Kreise gegeben, die in Italien geradezu einen Wunschgegner sahen, an dem es die verloren gegangenen Schlachten der italienischen Einigungskriege zu rächen galt. Italien wiederum war über die Frage des Kriegseintritts („Interventio“) zutiefst zerstritten, und nicht nur die Misserfolge der italienischen Kriegsführung unter Luigi Cadorna führten dazu, dass sich die Masse der italienischen Soldaten – überwiegend Bauern – mit den Kriegszielen der Führung kaum identifizieren konnte.

Neben den Themenbereichen „Regierung und Politik“ und „Militärische Kriegsführung“ gewinnen besonders die eher soziologischen Bereiche „Soldaten“, „Gesellschaft und Mobilisierung“ sowie „Kriegspropaganda“ an Interesse. So zeigt etwa Federico Mazzini, dass die italienischen Soldaten keineswegs aus nationaler Begeisterung in den Krieg gegen einen Gegner zogen, der ihnen bereits einige Kampferfahrung voraus hatte, sondern in ihren wegen der topographischen Geländeeigenheiten kaum geschützten Stellungen in eine Art „Dämmerzustand“ verfielen, der durch ein äußerst striktes Disziplinierungsreglement hervorgerufen und verstärkt wurde. Als Grund für Desertion und Abwesenheit vom Heer ermittelt Mazzini denn auch vor allem den Wunsch, zuhause bei der Ernte zu helfen. Schriftliche Äußerungen von Soldaten, Feldpostbriefe etwa, sind eher selten, auch weil es im Italien der Vorkriegszeit eine Analphabetenrate von einem Drittel der Bevölkerung gab. Die Aufsätze stützen sich in der Regel auf nachprüfbare Fakten, etwa Verlustzahlen, was bisweilen wie ein body count wirkt. Die beiden Staaten waren auf einen langen Krieg keineswegs vorbereitet und glaubten an einen zeitlich begrenzten Konflikt. Deshalb setzte Cadorna auf eine verlustreiche Angriffsstrategie, und in Österreich kam es bereits im Herbst 1914 zu ersten Versorgungsengpässen sowohl auf wirtschaftlichem als auch auf militärtechnischem Gebiet. Unterversorgt blieben ebenso Hunderttausende von italienischen Kriegsgefangenen, um die sich auch die Heimat nicht kümmerte, weil sie dort als Feiglinge galten.

In ihrer Selbsteinschätzung präsentierten sich die beiden Staaten als Großmächte. Tatsächlich kam ihnen lediglich die Rolle eines Juniorpartners zu, der nur mit massiver Unterstützung der jeweiligen Bündnispartner für einige Zeit überleben konnte. Vor allem die Hilfe der USA bewirkte schließlich den italienischen Sieg bei Vittorio Veneto. Mit dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson war allerdings auch das Nationalitätenprinzip auf dem Kriegsschauplatz aufgetreten, weshalb den Italienern die noch in dem Londoner Geheimabkommen vom April 1915 versprochenen Gebietsgewinne auf dem Balkan versagt blieben. Die überzogenen Forderungen der italienischen Politiker bei den Friedensverhandlungen, „Schlafwandler“ auch dieses Mal, bei denen es um eben diese Gebiete in Dalmatien und Istrien ging, führten in der italienischen Öffentlichkeit zu der Ansicht, dass man den Krieg zwar militärisch gewonnen, den Frieden aber politisch verloren habe, und zu einer feindlichen Einstellung gegenüber den westlichen Demokratien, die als Grundlage des Faschismus gelten muss. Auf österreichischer Seite wiederum führte die von der offizierhistorischen Geschichtsschreibung der Nachkriegszeit favorisierte „Dolchstoßlegende“ dazu, dass man sich dann umso bereitwilliger von Hitler „heim ins Reich“ führen ließ.

Der Titel „Der Krieg in den Alpen“ ist allerdings irreführend, vollzogen sich doch die wesentlichen Kämpfe zwischen den Mündungsgebieten der Flüsse Isonzo und Piave, während etwa dem Krieg im Hochgebirge zwischen Ortler und Marmolata nur eine marginale Bedeutung zukommt.

Titelbild

Nicola Labanca / Oswald Überegger (Hg.): Krieg in den Alpen. Österreich- Ungarn und Italien im Ersten Weltkrieg (1914-1918).
Böhlau Verlag, Wien 2013.
272 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-13: 9783205794721

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