Ein Lehrstück

Michael Koch liefert in seinem Buch „Slavocrat und Yankee“ Material zum Verständnis darüber, wie Feindbilder den Krieg begründen

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In seinem Buch „‚Slavocrat‘ und ‚Yankee‘“ beschreibt Michael Koch Feindbilder, die seit den 1830er-Jahren das Verhältnis zwischen den Nord- und Südstaaten der Vereinigten Staaten belasteten. Er liefert damit einen interessanten Beitrag zum Verständnis des amerikanischen Bürgerkriegs von 1861 bis 1865. Als es nach der Wahl Abraham Lincolns zum Präsidenten 1860 und der darauf folgenden Gründung der aus den abtrünnigen elf Südstaaten bestehenden Konföderierten Staaten von Amerika zum offenen Bürgerkrieg kam, lieferten Feindbilder den (ideologischen) Unterbau, auf dem sich die eigene Sache als einzig gerechte Sache immer wieder neu begründen ließ. Koch macht dabei mit Verweis auf die Erkenntnisse der „Feindbildforschung“, der er ein eigenes einleitendes Kapitel in seinem Buch widmet, anschaulich, dass die Feindbildkonstruktionen beider Seiten massiv geprägt waren von einem politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Konkurrenzverhältnis der Kontrahenten. Feindbilder dienten immer auch der Selbstvergewisserung. In dem Maße, wie dabei die Südstaaten ein Gefühl der latenten Unterlegenheit gegenüber dem modernen, an der Schwelle zur Industrialisierung stehenden Norden zu kompensieren hatten, wurden ihre Feindbilder für die Aufrechterhaltung des eigenen Selbstbildes besonders bedeutsam. 

Es war der „Yankee“, der dem Süden die Seele stehlen wollte. Im Begriff des „Yankees“ bündelten sich sämtliche Ängste, Vorurteile und Aggressionen zum Feindbild. Koch beschreibt vier Komponenten des Feindbildes: Zunächst war der Yankee ein seelenloser Materialist, der zudem mit verschwörerischen Mitteln seine materielle Gier zu befriedigen suchte. Als „falsche Philanthropen“ verurteilten die Yankees in heuchlerischer Manier die Sklaverei, während sie selbst unter der Maßgabe des kapitalistischen „free labor“ die Arbeiter ungleich grausamer ausbeuteten. Mit ihrem moralisch zweifelhaften Charakter und ihren verkommenen Sitten trachteten sie danach, den sittsamen Süden von sich selbst zu entfremden. Und schließlich war der Yankee in dieser Konstruktion ein aggressiver Charakter, repräsentiert durch den exzessiven und gewaltbereiten Abolitionisten, der unter dem heuchlerischen Deckmantel der Sklavenemanzipation schlussendlich den Untergang der weißen Rasse in Kauf nahm.

Dieses Feindbild wurde für viele Südstaatler durch die spektakuläre Gewaltaktion des Abolitionisten John Brown, der 1851 in Harpers Ferry einen Sklavenaufstand initiieren wollte, bestätigt: Die Yankees planten den Umsturz. Aber dahinter stand noch eine andere, in paternalistischem Rassismus gründende Angst: Dem Norden gegenüber argumentierte man mit den friedlich-familiären Strukturen, in denen die Sklaven – anders als die wurzellosen verarmten Arbeiter in den Fabriken des Nordens – in bescheidener aber zufriedener Eintracht mit ihren Herren lebten. Aber zugleich waren die Schwarzen in ihren Augen wilde, unzivilisierte und grausame Wesen, die nur durch die Zucht ihrer Herren in Zaum gehalten wurden. Die Befreiung der Sklaven, so schürte man die Ängste, würde eine Welle der Gewalt gegen ihre ehemaligen Herren auslösen.

In der 1854 gegründeten Republikanischen Partei sahen die Fire-Eaters, eine seit den 1850er-Jahren aktive populäre Gruppe von Anti-Abolitionisten das Zentrum der gegen den Süden gerichteten Verschwörung. Als dann auch noch deren Kandidat Abraham Lincoln zum Präsidenten aufstieg, war das für sie der Beweis dafür, dass der Norden eine Tyrannei über den Süden errichten würde.

Gegen derartige Verschwörungstheorien war damals (wie auch heute) ein Argumentieren nicht möglich. Stattdessen wurde jede weitere Niederlage, die der Süden auf politischem, wirtschaftlichem oder kulturellem Gebiet erlitt, als eine Bestätigung der Verschwörungsthese interpretiert. Konsequenterweise sahen die „Kavaliere“, wie man sich mit stolzem Bezug auf eine krude rassistische Abstammungstheorie gerne nannte, der zufolge die Menschen im Süden direkte Abkömmlinge der edlen Normannen waren, während die Puritaner im Norden keine vergleichbar vornehme Abstammungskette aufweisen konnten, die einzige Chance in der Abtrennung vom Norden.

Damit hatten die „Southener“ nun auch aus Sicht des Nordens – im wahrsten Sinne des Wortes – die Grenze überschritten. Die treibenden Kräfte dieser Entwicklung waren aus ihrer Sicht die Sklavenhalter, vor allem die Baumwollpflanzer. Auf sie konzentrierte sich das „Pflanzer-Feindbild“: Der „Slavocrat“ war ein Aristokrat, dessen konservativ-reaktionäre Haltung mit der amerikanischen Verfassung nicht zu vereinbaren war. Mit seinen vordemokratisch-feudalen Allüren zwang er aber nicht nur die Sklaven sondern auch die Mehrheit der Nichtsklavenhalter durch eine „Despotie der Minderheit“ in politische und ökonomische Abhängigkeit. Auch aufgrund seiner charakterlichen Eigenschaften, wozu Faulheit, Dekadenz und Brutalität gehörten, stand der Slavocrat aus Sicht des Nordens der modernen Entwicklung Amerikas im Wege. 

Während des Krieges stabilisierten sich die Feindbilder. Die wechselseitigen Vorwürfe einer besonders grausamen Kriegsführung, zu der auch Gewalt gegen Zivilisten gehörte, bestätigten die jeweiligen „Images“. Die Gegner wurden zu teuflischen Barbaren, die man in einer Art ‚heiligem Krieg‘ kompromisslos zu bekämpfen hatte.

Kochs Darstellung klärt sachlich über die Feindbildkonstruktionen auf. Dabei verzichtet sie auf eine historisch-politische Interpretation der Bedeutsamkeit der Feindbilder. Sie erscheinen gleichbedeutend als Teil der ideologischen Ausstattung beider Kontrahenten. Tatsächlich hatte die Feindbildkonstruktion für den Süden eine andere Bedeutung als für den Norden. Für den Süden war  es ungleich bedeutsamer, die eigenen Unterlegenheitsgefühle, die sich ja auch aus offensichtlicher Rückständigkeit ergaben, zu kompensieren. Je irrationaler die Feindbilder begründet wurden, desto mehr lenkten sie von der eigenen Unzulänglichkeit ab. Das war letztlich ihr Zweck. Ein Lehrstück.

Titelbild

Michael Koch: "Slavocrat" und "Yankee". Feindbilder und der Amerikanische Bürgerkrieg 1830-1865.
Schöningh Verlag, Paderborn 2014.
294 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783506766434

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