Erziehung zum Terror

Hans-Christian Harten beschreibt in „Himmlers Lehrer“ das komplexe System der „weltanschaulichen Schulung in der SS 1933-1945“

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans-Christian Harten legt mit seinem Buch „Himmlers Lehrer“ eine umfangreiche Studie über die „weltanschauliche Schulung in der SS 1933-1945“ vor. Der knapp 700 Seiten umfassende Band, gegliedert in fünf Hauptkapitel, die die Geschichte und Struktur des Schutzstaffel-Schulungswesens, die Schulung in den Verbänden und Einrichtungen der SS, die Schulung im „großgermanischen Reich“, das Schulungsmaterial sowie „Himmlers Lehrer“ abhandeln, enthält eine Fülle von detaillierten Informationen, die in ihrer Gesamtheit wesentlich zum Verständnis der SS als einer der zentralen Herrschaftsorganisationen des nationalsozialistischen Staates beitragen.

Das SS-Schulungssystem ist ein spezifischer Ausdruck des Selbstverständnisses der SS im nationalsozialistischen Machtgefüge. In dem Maße, wie man sich als nationalsozialistische Elite verstand, stiegen die Ansprüche an eine entsprechende „Schulung“ ihrer Angehörigen. Die bereits seit 1931 einsetzende umfassende Schulungspflicht für alle SS-Mitglieder gründete dabei zunächst in der „Bauernschulbewegung“, die Walter Darré, den der Autor den „eigentlichen Schöpfer des Schulungswesen“ nennt, als eine Abteilung des „Rasse und Siedlungsamtes“ in der SS aufbaute. Darré betonte ein nordisches „Blut und Boden“-Ideal, das den speziellen Ordenscharakter der SS begründen sollte. Darrés Vorstellung von der SS als einem „nordischen Orden“ geriet freilich im Laufe der komplexen Ausdifferenzierung des Schulungswesens in den nächsten Jahren zunehmend in den Hintergrund. Heinrich Himmler selbst mischte sich in die Schulungsangelegenheiten ein und forderte eine Erweiterung der Themen in den Schulungen, was den Vorrang der Blut und Boden-Ideologie infrage stellte. Darrés Einfluss schwand. Statt zum „nordischen Orden“ sah er die SS sich zu einer „kapitalistischen Prätorianergarde unter jesuitischem Oberbefehl“ entwickeln.

1938 wurde das Schulungswesen reorganisiert und „als sachbearbeitendes Amt für alle Fragen der Weltanschaulichen Schulung der Gesamt-SS“ dem SS-Hauptamt zugeordnet. Gegen eine aus seiner Sicht zu praxisfernen Akademisierung der Schulung führte Himmler die  „erzählende Schulung“ als Prinzip ein. Dies galt auch für die Autoren der „SS-Leithefte“. Die Leithefte beschrieben die Themen der Schulungen, zu denen „Grundlagen der nationalsozialistischen Weltanschauung“, Rassenkunde, Erbgesundheitslehre, Deutsche Geschichte, Germanentum, „Gegnerkunde“ oder Krieg und Soldatentum gehörten. „Ordnungsübungen“, wie Strammstehen, Antreten, Freiübungen und Kampfsport (Jiu-Jiutsu) gehörten bereits zum Programm der Darréʼschen Bauernschulen. Im Mittelpunkt stand dabei eine „Erziehung zu Härte“, worunter kein klassischer militärischer Drill, sondern die Fähigkeit, „das auszuhalten“, was rassenpolitische Vorgaben als „völkische Pflicht“ beschrieben, gemeint war. Ein „starkes Selbst“ sollte die Träger der nationalsozialistischen Idee ausmachen.

Hans-Christian Harten kann anhand der von ihm ausgewerteten Unterlagen einzelner SS-Verbände schlüssig aufzeigen, dass auch und gerade während des Krieges die Schulung („Abt. VI“) eine hohe Bedeutung hatte. Als der Führer eines SS-Totenkopf-Verbandes aufgrund schwerer Belastungen durch „Bandenkämpfe“ meinte, auf die reguläre Schulung verzichten zu können, da kein Raum dafür da sei, hatte das eine empörte Reaktion Himmlers zur Folge. Mit scharfen Worten wies er den Standartenführer zurecht. Im Übrigen solle er sich ein Beispiel an den Russen nehmen, „bei denen der Politruk seinen weltanschaulichen kommunistischen Unterricht sogar in den Gräben durchführt“.

An einem anderen Beispiel zeigt der Autor, dass einzelne Schulungsleiter in den SS-Verbänden auch reformpädagogischen Eifer entfalteten. So regte bei der SS-Panzergrenadier-Division „Hohhenzollern“ der ehemalige Lehrer Karl Schwarz Wert darauf, dass die SS-Männer nicht nur passiv Vorträge hörten, sondern den Schulungsstoff auch durch eigene Beiträge zu erarbeiten wussten. Dennoch blieb dem „Schulungsführer“ die zentrale Verantwortung. Seine Aufgabe beschrieb Theodor Eicke mit Blick auf die Schulung ‚seiner‘ Totenkopfverbände folgendermaßen: „Die Aufgabe des Schulungsführers […] ist die Durchdringung der Truppe mit dem nationalsozialistischen Gedankengut. […] Sie haben Männern und Führern unsere Weltanschauung vorzuleben, d.h. sie  haben dienstlich wie außerdienstlich Vorkämpfer dieser Weltanschauung und Soldat zu sein.“

Eher unmittelbar militärischen Zwecken dienten die Schulen der Waffen-SS, wie zum Beispiel die Junkerschulen Tölz, Braunschweig und Klagenfurt. Darüber hinaus unterhielt die Waffen-SS auch eigene Berufsschulen. Eine neue Aufgabe für die Schulung entstand im Verlauf des Krieges durch die Rekrutierung von SS-Verbänden in den besetzten Ländern. So entstand die „Germanische Leitstelle“, die Grundlagen für eine umfassende „Germanisierung“, wie sie Himmler für die ‚germanischen Länder‘ (Niederlande, Belgien) plante, legen sollte.

Den Band schließt eine „sozialisationsgeschichtliche Analyse“ von Himmlers Lehrern ab. Auf der Grundlage der Daten von 3139 Personen hinterfragt der Autor, wer die Schulungsleiter waren, woher sie kamen und wie sie ausgebildet waren.

Hartens Studie erlaubt tiefe Einblicke in das Selbstverständnis und die Funktionsweise der SS. Davon profitieren vor allem Fachleute, die auch in der Lage sind, die spezifischen Informationen zum SS-Schulungswesen als Teil des gesamten nationalsozialistischen Herrschaftssystems einordnen zu können. Der Autor selbst nimmt derartige zusammenfassende Einordnungen nicht vor. So bleibt es für die interessierten LeserInnen gerade wegen der Fülle an Informationen schwierig, beurteilen zu können, welchen Stellenwert das SS-Schulungswesen im Unrechtssystem des NS-Staates insgesamt hatte.

Titelbild

Hans-Christian Harten: Himmlers Lehrer. Die Weltanschauliche Schulung in der SS 1933–1945.
Schöningh Verlag, Paderborn 2014.
708 Seiten, 78,00 EUR.
ISBN-13: 9783506766441

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