Kein Ort für Mythen

Der Sammelband „Mythos Wewelsburg“ informiert über „Fakten und Legenden“ zur Wewelsburg seitder Zeit des Nationalsozialismus

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Wewelsburg, im gleichnamigen Stadtteil der Stadt Büren im Kreis Paderborn gelegen, ist ein im 17. Jahrhundert als fürstbischöfliche Burg auf den Resten verschiedener mittelalterlicher Burgbauten aus dem 9. und 10. Jahrhundert errichtetes Bauwerk. Man könnte die Burg, wie viele andere auch, als touristische Landmarke bestaunen, deren Besonderheit ein in Deutschland für vergleichbare Bauwerke selten genutzter dreieckiger Grundriss ist, wäre da nicht ein kurzer Abschnitt in ihrer Geschichte, der sie und ihre Wahrnehmung bis heute prägt: Die Wewelsburg war von 1934 bis zum Kriegsende 1945 in den nationalsozialistischen Herrschaftsapparat integriert. Heinrich Himmler, Chef der SS, hatte die Burg als Schulungszentrum für die höheren Dienstränge der Schutzstaffel ausersehen und plante ihren Ausbau zu einer Art weltanschaulich-geistigem Zentrum der SS. Ein Projekt, das auch den Ort Wewelsburg einbeziehen sollte. Zur Umsetzung der Baupläne richtete die SS 1939 in Wewelsburg ein Konzentrationslager ein, das zunächst ein Nebenlager des Konzentrationslagers Sachsenhausen war. 1941 wurde das Lager als KZ Niederhagen eigenständig. Bis zur Auflösung des Lagers im Jahr 1943 waren hier mindestens 1285 Menschen ums Leben gekommen.

Nach dem Krieg wurde die Wewelsburg – ermöglicht nicht zuletzt auch durch eine über viele Jahre hinweg versäumte seriöse Aufarbeitung der NS-Vergangenheit an diesem Ort – zum Mittelpunkt kruder Legenden und Phantasien. Dabei fand besonders das Sonnenrad, das als Bodenornament den sogenannten „Obergruppenführersaal“ in der Wewelsburg schmückt, Beachtung. Als „schwarze Sonne“ ist es zu einem Symbol geworden, das ebenso in esoterischen, populär- und pseudowissenschaftlichen Sciene-Fiction-Kreisen wie auch in der rechten Szene gehegt und gepflegt wird. Dieser seltsamen Vermischung von Esoterik, populärer Kultur, Science-Fiction und rechter Ideologie widmet sich der vorliegende Sammelband „Mythos Wewelsburg“. In zehn Beiträgen klärt er über „Fakten und Legenden“ auf. Er ist, wie in der Einleitung die beiden Herausgeberinnen Kirsten John-Stucke und Daniela Siepe erläutern, Ergebnis eines Forschungsprojekts zur Geschichte der Wewelsburg im Nationalsozialismus und zur Legendenbildung nach dem Zweiten Weltkrieg, verantwortet vom Kreismuseum Büren, das in der Wewelsburg neben dem Historischen Museum des Hochstifts Paderborn auch die „Erinnerungs- und Gedenkstätte Wewelsburg 1933-1945“ betreut.

Die Beiträge des Bandes, die den Mythen und Legenden in der wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen Literatur, der phantastischen Literatur, in Thrillern und Comics, in „esoterisch-verschwörungtheoretischen Schriften“, in „satanischen Kreisen“ sowie in  rechtsextremen „Symbol- und Mythenwelten“ nachspüren, machen deutlich, dass zentrale Motive („schwarze Sonne“) und Erzählstränge (die „Gralsburg“ der SS) sich allesamt von seit den 1950er-Jahren vorgelegten Geschichtserzählungen herleiten lassen, an denen vor allem ehemalige Nationalsozialisten beteiligt waren. Ihnen ging es dabei um solche Erzählungen, die die eigenen Verstrickungen in das Regime verschleierten, zumindest aber zu relativieren wussten. In ihrem für den Sammelband grundlegenden Beitrag „Die ‚Gralsburg‘ der SS?“ stellt Daniela Siepe markante Beispiele solcher „Legendenbildungen“ vor. Eine dieser Legenden versucht den ‚verrückten‘, etwas „verschrobenen Geschichtsromantiker“ SS-Führer Heinrich Himmler als „den bösen Geist des Dritten Reiches“, wie ein damaliger Buchtitel lautete, zu identifizieren, der alleine für die Gestaltung der Wewelsburg als „Kultstätte“ verantwortlich war. Zur Begründung derartiger Legenden dienten dann auch immer wieder freie Erfindungen, wie etwa die, im „SS-Kloster“ Wewelsburg habe ein „Geheimkonsistorium“ seine regelmäßigen Sitzungen abgehalten. Die Autorin zeigt in ihrem Beitrag, wie solche ‚Tatsachen‘ in die Welt gesetzt wurden und zum Fundus der Legendenbildung beitrugen. Die benannten Motive tauchen dann, so belegen es die übrigen Beiträge des Bandes, in allen anderen Zusammenhängen in immer wieder neuen Varianten auf – das gilt für die esoterische Szene ebenso wie für die rechtsideologische.

So informieren die Beiträge des Sammelbandes anschaulich über die typischen Motive und Erzähltraditionen, die den „Mythos“ Wewelsburg begründen. Sie enthalten sich aber einer nötigen Aussage zur unterschiedlichen Qualität der Mythologisierung. Lässt sich eine Mythologisierung in esoterischen, satanistischen oder phantastischen Zusammenhängen auf gleicher Ebene abhandeln wie die Mythologisierung im Kontext rechter Ideologie? Bleiben die Mythen und Legenden in dem einen Fall dramaturgischer Stoff für ‚Fans‘, sind sie als Bestandteile rechter Ideologie doch weitaus bedeutender. Denn sie dienen einer intendierten verfälschenden Sichtweise auf die historischen Tatsachen. Aufklärung über die Tatsachen und Authentizität in der Darstellung wird mit hasserfülltem Misstrauen („Lügenpresse“) betrachtet und die Mythen und Legenden stellen als eigene ‚Wahrheit‘ ein exklusives Gefühl der Zusammengehörigkeit her. Deshalb ist kluge Wachsamkeit immer noch und immer wieder vonnöten: So nimmt man in der Wewelsburg dem „Obergruppenführersaal“ mit roten Sitzsäcken auf dem Bodenornament die Bedeutungsschwere, und in der „Gruft“ schafft der Mahnmalzyklus des Bürener Malers Josef Glahé aus den Jahren 1949/1950 eine angemessene Atmosphäre des Gedenkens, die eine falsche Aura zu verhindern weiß.

Titelbild

Kirsten John-Stucke / Daniela Siepe (Hg.): Mythos Wewelsburg. Fakten und Legenden.
Schöningh Verlag, Paderborn 2015.
295 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783506780942

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