Friedhelm Rathjen hat ein Lieblingsbuch Arno Schmidts übersetzt und herausgegeben

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Expedition von Meriwether Lewis und William Clark zählt für die Amerikaner noch heute zu den herausragenden Entdeckungsleistungen aus der Frühzeit der Erkundung Nordamerikas. Westlich des Mississippi gab es zu Beginn des 19. Jahrhunderts ein riesiges Landareal, das praktisch völlig unbekannt war; in große Teile davon war noch kein Weißer vorgedrungen. Das ganze Gebiet hatte eigentlich den Franzosen gehört, aber die jungen Vereinigten Staaten kauften es ihnen ab, und um zu sehen, was man sich da eingehandelt hatte, schickte Präsident Thomas Jefferson die Herren Lewis und Clark mit einem kleinen Trupp wackerer Entdecker los. Als erste Weiße überhaupt überquerten sie ab 1804 den amerikanischen Kontinent auf dem Landwege. Unter mühseligsten Umständen musste man auf selbstgebauten Booten dem Missouri stromaufwärts folgen, zu Fuß das abweisende Gebirge überqueren, bevor man westlich der Kontinentalscheide auf dem Columbia River in Richtung des Pazifik schippern konnte. Angesichts der riesigen Entfernungen ist es kein Wunder, dass der Expeditionstrupp erst nach drei Jahren zurückkehrte. Eher schon ein Wunder ist, dass von den 33 Reisenden (darunter die Indianerin Sacagawea und ihr Baby) nur einer (durch eine Krankheit) ums Leben kam. Man hatte vorher damit gerechnet, daß die Entdecker vielleicht sämtlich von Indianern abgeschlachtet werden würden. Um dennoch möglichst viel über den Westen des Kontinents in Erfahrung zu bringen, sollten möglichst viele Expeditionsteilnehmer Tagebuch führen: Falls niemand zurückkehrte, bestand dann wenigstens die Chance, später das eine oder andere der Tagebücher zu finden. Es existieren deshalb mehrere Tagebücher der Reise (mit vielen Überschneidungen, da die Entdecker gern voneinander abschrieben); am wichtigsten sind allerdings zweifellos die Tagebücher der beiden Expeditionsleiter Lewis und Clark selbst. Sie wurden vor dem Jahr 2003 nie – auch auszugsweise nicht – ins Deutsche übersetzt.

Arno Schmidt hat die Tagebücher von Lewis und Clark relativ spät entdeckt, nämlich erst in den 1960er-Jahren, als er das Werk von Edgar Allan Poe übersetzt und an seinem eigenen Großprojekt „Zettel’s Traum“ bastelt. Er ist sogleich fasziniert von ihnen und erkennt die Expedition von Lewis und Clark als „1 der Großen Reisen der Menschheit“ an; das Tagebuch der beiden Expeditionsleiter, für ihn „ein permanentes Gemisch aus Windespfeifen & Grasgewischel; das, wer es einmal vernommen hat, nicht mehr missen möchte“, ist ihm sogar „ein Buch wie HOMER!“. Die Tagebücher geben Schmidt aber auch Gelegenheit, seine alten Lieblinge Cooper und Poe als Meisterschüler im Klauen und Plagiieren zu brandmarken, denn beide haben für einige ihrer Romane Landschaftsschilderungen und andere Details von Lewis und Clark abgeschrieben. Aber auch noch ein weiteres Merkmal der Tagebücher fasziniert Schmidt, nämlich – kurios zu sagen – die Rechtschreibschwäche. Schmidt erbaut sich an der regellosen Orthographie und bringt Lewis und Clark in einen Zusammenhang mit Joyce: „ausgerechnet dieser Bericht, ist eine der nützlichsten Vor=Schulungen zum FINNEGAN.“ Lewis und Clark, findet Schmidt, haben mit ihrer kuriosen falschen Rechtschreibung die kunstvolle Verschreibungstechnik von Joyce (und letztlich von Schmidt selbst) vorweggenommen und sozusagen schon „in Etyms geschrieben“, wie es ansonsten nur die größten Superliteraten konnten. Genau deshalb wünscht sich Schmidt an einer Stelle von „Zettel’s Traum“ eine kongeniale Übersetzung der Lewis-und-Clark-Tagebücher ins Deutsche. Wohlan, diese Übersetzung liegt nun endlich vor. Es versteht sich andererseits von selbst, dass in einer Ausgabe, die die Tagebücher als ein Lieblingsbuch von Arno Schmidt vorstellt, die von ihm bejubelte Rechtschreibschwäche der Autoren nicht einfach vernachlässigt werden durfte.

Hauptkriterium für die Textauswahl war, dass ein kontinuierlicher Erzählstrang gewahrt sein sollte; zu diesem Zweck wurde für jeden Tag der eigentlichen Expedition mindestens ein Tageseintrag entweder von Meriwether Lewis oder von William Clark aufgenommen. Es wurde darauf geachtet, dass alle wichtigen, dramatischen oder auch besonders skurrilen Begebenheiten und Textpassagen berücksichtigt wurden, ebenso natürlich alle Textstellen, auf die sich Arno Schmidt in seinen Äußerungen zu Lewis und Clark bezieht, und soweit möglich auch alle Passagen, die sich bei James Fenimore Cooper und Edgar Allan Poe wiederspiegeln. Diese Auswahlausgabe erschien erstmals 2003 im Verlag Zweitausendeins, und zwar in der Reihe „Haidnische Alterthümer“, die Lieblingsbücher Arno Schmidts präsentiert. Für die vorliegende Neuedition wurde der Text nochmals durchgesehen und im Detail leicht nachgebessert.

Die Ausgabe ist limitiert auf 150 nummerierte und vom Übersetzer signierte Exemplare.

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Titelbild

Meriwether Lewis / William Clark: Tagebuch der ersten Expedition zu den Quellen des Missouri, sodann über die Rocky Mountains zur Mündung des Columbia in den Pazifik und zurück, vollbracht in den Jahren 1804-5-6.
Ausgewählt, übersetzt und herausgegeben von Friedhelm Rathjen.
Edition ReJOYCE, Südwesthörn 2015.
321 Seiten, 50,00 EUR.
ISBN-13: 9783000498015

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