Was für ein Affentheater

Wednesday Martin entlarvt in „Primates of Park Avenue“ die weibliche Alltagsdramaturgie an der Upper East Side

Von Daniela OttoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniela Otto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Vernetzung ist Frauensache. Und die Aufnahmerituale in den inner circle, also Manhattans Upper-Class-Damenkränzchen, sind brutal und gnadenlos. Das wird in „Primates of Park Avenue“, jenem Insiderbericht, vor dessen Erscheinen es so mancher New Yorker High Society Lady graute, schnell klar. Denn die Sache ist die: Eine Fremde hat sich in die Kreise der Schönen und Reichen eingeschlichen, diese studiert und ein Buch darüber geschrieben. Wednesday Martins Beobachtungen sind scharfsinnig, lustig und zum Kopfschütteln absurd. Denn die Welt, die sie schildert, ist ebenso bizarr wie faszinierend.

Nach dem 11. September beschließt die promovierte Anthropologin mit ihrem Mann an die Upper East Side zu ziehen. Warum? Weil dieser Gegend ein attraktives Versprechen innewohnt. Es ist das Versprechen einer besseren, heileren Welt. „We had decided to move uptown in search of a ‚better childhoodʻ for our son“, heißt es im Roman. Mit diesem Entschluss beginnt ihr ganz persönlicher rite de passage: Was die Autorin beschreibt, ist im Grunde nichts anderes als eine konventionelle Initiationsgeschichte. Ihre Story beginnt mit der Trennung von ihrer alten Welt, geht weiter mit der unsicheren Schwellensituation während ihrer Bemühungen, vom fremden Umfeld akzeptiert zu werden, und endet schließlich mit der gelungenen Integration in die neue Gesellschaft. Und doch ist dieser Übergangsritus umso erstaunlicher zu lesen, da er nicht in exotischen Kulturen, sondern inmitten der vielleicht westlichsten Stadt überhaupt stattfindet.

Der Mythos eilt New Yorks Prachtviertel voraus: Selbst wer noch nie dort war, der kennt die Upper East Side aus Filmen wie „Frühstück bei Tiffany“ und „Eiskalte Engel“ oder Serien wie „Gossip Girl“. Alle inszenieren die Gegend als das unangefochtene Mekka der Reichen und Schönen. Wer hier wohnt, hat es geschafft.

Schaffen will es auch Martin, denn „who wants to be on the outside?“ Aber sie lernt schnell: Das wird keine leichte Kiste. An der Upper East Side herrschen eigene Regeln. Regeln, die vor allem die Frauen, genauer noch: die Mütter bestimmen. Zwischen „rules, rituals, uniforms, and migration patterns“ versucht sich die Zugezogene zurechtzufinden. Was ihr mal besser, mal schlechter gelingt. Offen gibt sie zu: „I had culture shock“.

Martin erzählt von mühsamen Wohnungsbesichtigungen, Frauen, die sie durchweg ignorieren, und von Müttern, deren Kinder vor allem Prestigeobjekte sind. Die narrative Pointe besteht dabei darin, dass Martin das Gehabe an der Upper East Side mit einem Bogenschlag zu Primatenstämmen zu erklären versucht. Sprich: Wenn es schon so affig zugeht, kann man auch gleich die Analogie zu den Affen ziehen. Das funktioniert ausgesprochen gut und gibt dem Buch einen angenehm ironischen Ton. Da erscheint es kaum verwunderlich, dass die anderen Weibchen die Konkurrentin auch erst dann akzeptieren, als ihr ein männliches Alphatier seine Aufmerksamkeit schenkt. Einmal im Gespräch mit Mr. Superreich und schon läuft es besser für die junge Frau Doktor.

Danach dauert es nicht lange, bis Martin die gesellschaftlichen Codes knackt und selber das Spiel mitspielen kann. Für den Leser ist das Buch ein Reiseführer der ganz eigenen Art, bei dem er viel lernen kann. Besonders die Details machen „Primates of Park Avenue“ zu einem  authentischen Lesevergnügen. So erfährt man, dass für Frauen eine Birkin Bag (also die Tasche von Hermès, die nach Jane Birkin benannt ist und so viel wie ein Auto kostet) das ultimative Statussymbol ist, mit der man auf Gehwegen automatisch ‚Vorfahrt‘ hat. Man lernt, dass die perfekte Hausfrau am Jahresende einen Bonus bekommt und dass vier bis sechs Kinder völlig normal sind. Kopfschütteln und Staunen über diesen Mikrokosmos wechseln sich ab: So eigenartig und absurd diese abgehobene Welt anmutet, so ist sie doch ein erstaunlich gut funktionierendes System. Ein System, das jedoch auch seine dunklen Seiten hat.

So lässt es Martin nicht aus, auch über die massiven Probleme der Upper East Side Mommies zu sprechen: Der Druck, stets perfekt sein zu müssen, fordert seinen Tribut. Angefangen von masochistischen Workouts, die auf Spitzensportlerniveau sind, bis hin zu Beruhigungstabletten und Alkohol, die Frauen an der Upper East Side leiden still. Aber sie leiden. Die Angst, den Anforderungen nicht zu genügen, treibt sie um, zerfrisst sie, macht sie krank. Der Alltag folgt einer strikten Dramaturgie und das Skript, nach dem hier gespielt wird, sieht nur Heldinnen vor, keine Verliererinnen.

Am Ende des Buches schlägt Martin einen milden und versöhnlichen Ton an. Sie habe in all der Zeit auch wahre Freundschaft kennengelernt. Einmal drin in diesem „web of connectedness“ werde man auch von der Verbundenheit getragen. Vorausgesetzt, das Outfit stimmt.

Titelbild

Wednesday Martin: Primates of Park Avenue. A Memoir.
Simon & Schuster US, New York 2015.
256 Seiten, 20,95 EUR.
ISBN-13: 9781476762623

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