Goldgewirkte Leertasten

Steven Uhly schreibt nicht nur Gedichte, er publiziert sie auch!

Von Sabine HauptRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Haupt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Manchmal muss sich auch der Dichter etwas gönnen. Oder er bekommt es von seinem Verleger geschenkt. Die Frage ist dann natürlich, ob so ein Geschenk auch eines an die Leserschaft ist. Solche Fragen, die nullkommanichts mit den Texten zu tun haben, gingen mir ständig durch den Kopf, als ich in Steven Uhlys neuestem Buch, seiner ersten Gedichtsammlung, las. Wie kommt ein für seine fetzige Schreibe bekannter Autor wie Uhly, der vor vier Jahren mit dem inzwischen erfolgreich verfilmten Roman „Glückskind“ sogar einen echten Bestseller landete, dazu, jetzt auch noch Lyrik zu publizieren? Sind Gedichte heute nicht eher das Refugium der „schwierigen“ Autoren, der Sprachkünstler, Wortverdreher, syntaktischen Anarchos und semantischen Versteckspieler vom Schlage einer/s Friederike Mayröcker, Gerhard Rühm, Felix Philipp Ingold, Thomas Kling, Ulrike Draesner, Thomas Kunst, Ulrich Zieger, Michael Lentz und vielen mehr, die – oft in der Nachfolge von Rolf Dieter Brinkmanns alltagspoetischen Ernüchterungsversuchen – den Bedeutungshubereien einer schöngeistigen Besinnungslyrik den Kampf ansagen?

Und nun das: lauter prima verständliche Gedichte mit philosophischem Touch! Noch dazu in einer geradezu bibliophilen Aufmachung (der kleine, hoch engagierte Zürcher beziehungsweise Berliner Literaturverlag Secession macht wirklich unglaublich schöne Bücher!). Die teilweise zweisprachige (deutsch-portugiesische) Sammlung beginnt mit einer Art Vorwort-Gedicht, bei dem man anfangs nicht so recht weiß, ob alles wirklich ernst gemeint ist: „Dichtung ist in der Lage, die Wahrheit der Sprache als Ausdruck des Geistes zu offenbaren“. Himmel! Wo habe ich das schon gehört? Bei Martin Heidegger? Oder war’s bloß Benno von Wiese? Dieser Geist aber sei nun „voller Fallen“, in die man beim Schreiben gerate (wohl wahr!). Dann nämlich bleibe alles „verschleiert“. Solche verschleierten Gedichte aber dürfe man nicht veröffentlichen, nur diejenigen, die „nicht dem Selbstbetrug dienen“. Ich begreife: hier geht es um authentische Wahrheit. Warum auch nicht? Der Autor hat lang genug seine Texte ironisch angejazzt.

Es folgen in chronologischer Abfolge genau datierte und verortete Gedichte der frühen und der späten Jugend, die Lyrik des 17-Jährigen, des 20-Jährigen, des 30-Jährigen, des 40-Jährigen, des 50-Jährigen. Sie handeln von der Qual des beginnenden Denkens („Gott riss ein Loch / in meinen Kopf / als er dort starb“), der Qual der beginnenden Sprache („alles / war Wort / goldgewirkt / und / kluggesetzte Spitzen“), der Qual der beginnenden Liebe („Ich sah dich / im ewigen Traum / einer Winternacht“), der Qual der beginnenden Kunst („Doch nur wer scheitert und es sich vergibt / der weiß, wie schwer die eignen Worte sind“) – wohl war! Das Ganze zieht sich zunächst vom „Nichts des Wortes“ über die „Ebenen meines Herzens“ bis ins „Land der Zukunft“. Ein Weg, auf dem dann plötzlich auch kleine kreative Inseln auftauchen, Gedichte wie der kleine Zyklus „Nichts geschehen“, der in Brasilien entstand und Architektur und Körper zu recht originellen Sprachfiguren zusammenschweißt: „Aber die Stadt würde sich beleben / und aus Organen beschworen werden / und eine tagelange Brandung / lang würde ihr Stein in Lärm / ein Schweigen sichern / und es begann schon, jetzt / bei mehr Licht.“

Doch auch in diesen brasilianischen Gedichten lauert der Kalenderspruch mit seinen aufdringlichen Konfessionen – gewiss. Zugleich aber entfaltet sich in dieser zwischen 2002 und 2006 entstandenen Lyrik eine spürbare Intensität, der man dann auch Aphorismen wie „Die Liebe ist kein Haus, sondern eine hohe See“ vergibt, sobald man in „verengten Straßen auf das Abwegigste“ geführt wird. Manches erinnert an Ronald D. Laings „Knoten“: „Als die Liebe / die beiden umging / taten sie / als sähen sie’s nicht“, anderes an Ingeborg Bachmann: „Halt den Mund / und zähl die Stunden nicht / bis sie vergehen“, oder an konkrete Poesie: „stadts / geht es haushoch her […] die Sonne eckt auf / und ab“, manches aber auch an Erich Fried oder an den frühen Johannes R. Becher. Genitivmetaphern wie die „Leertaste der Nacht“ könnte man zum Mond schießen, Kalauer wie „Die Republik der Unternehmer / und Unternommenen“ am liebsten verramschen. Doch wenn es dann in einem Frankfurter Liebesgedicht – und man fragt sich als Leserin natürlich dauernd, ob der jeweilige Genius loci sich tatsächlich auf den Vers auswirkt – heißt: „Meinen Herbst / habe ich mit Frühlingsgewittern / versetzt / um Dir ins Blühen zu schauen“, mag frau doch gerne weiterlesen und auch noch die letzte, die Münchner Phase, erkunden.

Leider wird es in dieser Abteilung (2006-2015) nun so richtig schlimm: „Alles ist Oase / der Mensch im Stein der Städte / das Herz im Sand der Worte“ – eine schauerliche Welt, in der Herztüren klemmen, „alte Verzweiflung über Unsühnbares ausdünstet“, „verlorn“ sich auf „geborn“ reimt (schon Emanuel Geibel konnte das besser!) und „das Leben“ und das „Schicksal“ mit unerbittlicher kunstgewerblicher Härte zuschlagen. Die große Ausnahme bildet hier der Zyklus „Bruderlos“, in dem – in mehren Varianten – Kindheitserinnerungen in präzise Bilder wie „Auf unsere kurzen Zungen / passten die langen Worte nicht“ gefasst werden. Da blitzt momenthaft auf, was womöglich mit dieser Form von Authentizität in der Lyrik zu erreichen wäre. Doch bei den „Straßen ins Glück“ und dem „Dickicht der Liebe“ sind wir dann am Endpunkt der Reise: bei der Schlager-Lyrik. Und gleich um die Ecke lauert schon die Ratgeber-Lyrik: „Ich wollte mich selbst verwirklichen / und ließ Tyrannen an die Macht […] Ich lebe nicht in den Tag hinein / der Tag lebt in mich hinein,“ und so weiter, und so fort.

Kurz: Freuen wir uns auf den nächsten Roman von Steven Uhly!

Titelbild

Steven Uhly: Tagebuch. Gedichte 1981-2015.
Teilweise übertragen aus dem Spanischen und Portugiesischen.
Secession Verlag für Literatur, Zürich 2015.
108 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783905951714

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch