Beim Lesen selbst ein Schreibender zu werden

Ausgewählte Laudationes aus der Feder Wendelin Schmidt-Denglers sind posthum erschienen

Von Alina TimofteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alina Timofte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das Geschäft des öffentlichen Lobens ist kein leichtes. Wenn man es nicht versteht, über die Feststellung von Evidenzen hinauszukommen und positive Attribute ohne rhetorischen Aufputz zu artikulieren, kann eine Laudatio auf eine literarische Persönlichkeit sehr schnell bloß akkordierende Festrhetorik werden. Und dass es beim Loben wie auch beim Tadeln nicht nur auf das Was, sondern auch und vor allem auf das Wie ankommt, wird einem bei der Lektüre der hier versammelten Preisreden und Würdigungen aus der Feder des österreichischen Literaturwissenschaftlers und Literaturkritikers Wendelin Schmidt-Dengler (1942–2008) noch einmal besonders deutlich.

Um gleich am Anfang einen schönen, klugen Satz aus diesem Buch zu bemühen:„Man kann mit allen Wassern der Literatur gewaschen sein und dennoch sauber bleiben.“ Es ist vielleicht genau diese Kunst der wohltemperierten Stimmung, die das ‚sauber bleibende‘ Schreiben Wendelin Schmidt-Denglers so reizvoll macht. Helmut Neundlinger, der den umfangreichen und vielschichtigen Nachlass am Österreichischen Literaturarchiv aufgearbeitet hat, signiert das inzwischen zweite posthum erschienene Buch des Wiener Literaturprofessors als Herausgeber. Zuvor gab er 2012 Schmidt-Denglers gesammelte Texte zum Fußball unter dem Titel Hamlet oder Happel. Eine Passion heraus.

Unter den insgesamt 21 Geehrten finden sich Autorinnen und Autoren aus der europäischen, vorwiegend jedoch österreichischen Literaturlandschaft, zum Beispiel Friedrich Aichleitner, Ilse Aichinger, Ann Cotten, Umberto Eco, Franzobel, Marianne Fritz, Jakov Lind, Friedericke Mayröcker, Herta Müller und Salman Rushdie.

In den Lobreden zeigt sich ein im zweifachen Sinne nüchterner Blick auf die Literatur sowie auf die wissenschaftliche Beschäftigung mit ihr. Zum einen führt Schmidt-Dengler das literarische Kapital des zu Lobenden vor Augen und bleibt dabei im besten Sinne schmucklos, indem er eine erfrischende Mischung aus Witz und Wissen komponiert. Zum anderen geht er auf Distanz und bricht gelegentlich sowohl die Institution der Literatur als auch Literaturinstitutionen auf.

„Hatte man in den Anfängen einen Professor für Englische Sprache und Literatur, so wurde in der Folge durch Zellteilung einer für Literatur und einer für Sprache daraus, dann gab es einen für die alte und einen für die neue Literatur, dann einen für das 15., 16., 17. und 18. Jahrhundert, dann je einen für Shakespeare, dann einen für seine Komödien und einen für seine Tragödien, dann einen für Romeo und Julia, und jetzt haben wir einen für Romeo und einen für Julia.“ Mit diesem Witz aus seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Staatspreises für europäische Literatur karikiert Schmidt-Dengler anscheinend beiläufig die Einseitigkeit und das Spezialistentum der zeitgenössischen akademischen Zunft. Just das Gegenteil manifestiere sich, so fährt der Lobende fort, in der Gestalt des Gelobten, Umberto Eco. Dieser sei nämlich jemand, der riskiere, „von vielem zu sprechen, aber gewiss nicht von vielerlei“. Und genau das ‚riskiert‘ der Lobende auch. Anders als mancher wohlmeinender Laudator arbeitet sich Schmidt-Dengler nicht an einem in jeder Hinsicht erschöpfenden Überblick über die literarischen Leistungen des zu Preisenden. Vielmehr zeichnet er ein prägnantes Portrait mit Bedacht auf Aussonderung undInhaltsreichtum, indem er dem Eigentümlichen und dem Ursprünglichen auf den Grund geht. Die Laudatio auf Eco zum Beispiel liest sich als eine Einführung en miniature, in der man so konzentriert wie nirgends die Summe von Ecos Denken und Schreiben findet. Ähnlich verhält es sich auch mit den übrigen Preisreden und Würdigungen. Ganz uneitel tritt Schmidt-Dengler hinter den zu Preisenden zurück und lässt sie mit kurzen und prägnanten Auszügen aus ihren Schriften selber zu Wort kommen.

Anregend sind auch die pointierten Reflexionen mit zuweilen aphoristischer Prägnanz über die komplexen Vorgänge des Lesens und des Schreibens. Lesen heißt beispielweise, sich auf den Text „mit behutsamer, ja ängstlicher Sorgfalt“ einzulassen, das heißt „jedes hastig deutende Wort zu vermeiden, sich möglichst nahe an den Schreibenden heranzulesen und beim Lesen selbst ein Schreibender zu werden“. Oft wird die Gattung der Laudatio selbst zum Thema gemacht, wenn der Lobende etwa über die Schwierigkeiten des (profunden) Lobens spricht und dabei vor der „tautologischen Falle“ warnt, in die ein jeder Lobredner hineinzutappen droht. Auch, wenn Schmidt-Dengler über das Risiko der „perspektivischen Verkürzung“ aufklärt, dem sich jede Laudatio unterwerfen muss. Gilt das nicht auch für ihre epideiktische Schwester, die Rezension?

Beachtenswerte Anregungen enthält auch der Beitext des Buches. Hierzu ist zum einen die in der Notiz des Herausgebers aufgenommene Beobachtung des Wiener Germanisten Johann Sonnleitner zu nennen, bei der Laudatio im Allgemeinen und insbesondere bei denen Wendelin Schmidt-Denglers handele sich um „eine eigenständige, in gewisser Weise literarische Textform“. Das ist zumindest diskussionswürdig, auch wenn literaturwissenschaftliche Nachschlagewerke die Laudatio als literarische Gattung (bis auf die aus der Antike stammende Laudatio funebris als Lobrede für Verstorbene) überhaupt nicht kennen oder nur flüchtig unter die Rubrik ‚Gebrauchsliteratur‘ aufnehmen. Nicht zuletzt wird die Berufsleserschaft dem lesenswerten Vorwort von Daniela Strigl, übrigens 2015 mit dem Berliner Preis für Literaturkritik ausgezeichnet, wertvolle Überlegungen zu einer in ihren Formen und Gesetzen fast gänzlich unerforschten Gattung abgewinnen.

Titelbild

Wendelin Schmidt-Dengler: „Das Unsagbare bleibt auch ungesagt“. Über Ilse Aichinger, Umberto Eco, Herta Müller u.a.
Herausgegeben von Helmut Neundlinger mit einem Vorwort von Daniela Strigl.
Klever Verlag, Wien 2014.
144 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-13: 9783902665836

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