Eine beliebige Sammlung von Texten oder ein notwendiges Dokument?

Über einen von Constanze Neumann herausgegebenen Band mit Erinnerungen an das Kriegsende 1945

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Unabhängig davon, dass der Zweite Weltkrieg und das nationalsozialistische Regime mit allen seinen katastrophischen Aktivitäten bis heute die deutsche Politik nach innen wie nach außen bestimmen – und das zu Recht –, ist der Anlass für Publikationen über das Kriegsende einigermaßen beiläufig oder dem Kontrast geschuldet. Dem mag die Zusammenstellung der Beiträge geschuldet sein, die unter dem Titel „Als der Krieg zu Ende war“ bei Hoffmann und Campe nun gesammelt erschienen sind. Sie stammen samt und sonders aus Erinnerungen, die bereits zuvor, meist in größeren Memoirenwerken und Autobiografien, erschienen sind. In zwei Fällen handelt es sich um biografische Interviews. Zusammengestellt hat den Band die Cheflektorin des Verlags, die gleichwohl als Herausgeberin wohl nicht zeichnen wollte. Ein Nachwort ist gleichfalls nicht beigegeben worden. Die Texte sollen aus sich selbst heraus wirken und jenen Wert als „wichtiges Dokument“ entfalten, den die Verlagswerbung dem Band zuschreibt.

Und so findet sich denn halbwegs alles darin, was von einem solchen Band zu erwarten ist: Berichte von der Befreiung aus dem KZ oder dem Überleben im Versteck vor den deutschen Häschern, die Mühen und Wirren der letzten Kriegswochen, in denen jeder versuchte, seine Haut zu retten. Es finden sich Erinnerungen an die unverhoffte Hilfsbereitschaft, auf die in der Not zu bauen war, und an die Ängste um die vermissten Angehörigen oder Ehepartner. Aber auch über Freiraum, den das Chaos des Kriegsendes gerade den jungen Leuten bot, findet sich hier etwas.

Naheliegend unterscheiden sich die Berichte derjenigen, die 1945 noch Kinder waren, von denen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, und die der jüdischen von den nicht-jüdischen Autoren, die von Frauen von denen von Männern.

Dass dabei teils brüsk zwischen den Lebenswelten von den Autoren, die sich aus den Verstrickungen des nationalsozialistischen Regimes lösen mussten, und den von jüdischen Überlebenden des Holocaust gewechselt werden muss, ist wohl als programmatisch anzusehen. Die Vielzahl der Erfahrungen, die mit diesem Ereignis verbunden sind, zeigt eben auch an, dass die Antwort auf die Frage Niederlage, Ende oder Befreiung von der Nähe der jeweiligen Protagonisten zum Regime abhängt. Wobei allerdings die Alternative, die dieser Band bereithält, nur zwischen Ende oder Befreiung besteht. In einer historischen Situation, in der sogar konservative Politiker nur noch die Befreiung denken können, ist das kaum verwunderlich.

Es fehlen also die tief Verstrickten, die Nazis sowieso, aber auch die nationalistisch geprägten Stimmen, etwa die eines Ernst von Salomon, dessen „Fragebogen“ (1951) zu den ersten großen Nachkriegsbestsellern gehörte. Es fehlen die Täter und Mitläufer, es fehlen die, die in der Niederlage eine persönliche Schmach oder Entehrung sahen. Nun will man solche Stimmen nicht unbedingt lesen oder hören. Sie haben die bundesdeutsche Nachkriegsgeschichte zu sehr bestimmt. Noch die Diskussionen um die Fotoausstellungen zu den „Verbrechen der Wehrmacht“ haben diese Themen wieder aufleben lassen. Die Beschimpfung von Exilanten und Widerständlern als Vaterlandsverräter klingt noch zu sehr nach.

Und dennoch ist das Bild, das dieser Band vom Kriegsende zeichnet, zu harmonisch und zu einseitig auf die Erleichterung hin gestimmt, dass es nun endlich ein Ende hatte mit dem Krieg und den Nationalsozialisten oder auch nur mit der Qual und der Verfolgung. Allerdings ist bei den ausgewählten Autoren kaum etwas anderes zu erwarten: zwei Bundespräsidenten (von denen einer noch amtiert), ein ehemaliger Bundeskanzler (ein zweiter taucht immerhin kurz auf), ein ehemaliger russischer Präsident, ein ehemaliger Außenminister, zwei Zeithistoriker, von denen einer eine berühmte Biografie Hitlers geschrieben hat, die Gattin eines ehemaligen Bundeskanzlers, mehrere Schauspieler, die Leiterin eines Umfrageinstituts, ein Verleger, ein Kritiker, zu dem sich zwei weitere jüdische Autoren gesellen, der Leiter eines Modelabels, mehrere Musiker und – dann doch – einige wenige literarische Autoren. Das ist eine bunte Mischung in der Harmonie der Stimmen, bei der man freilich nicht weiß, nach welchen Kriterien sie ausgesucht und zusammengestellt wurden. Prominenz? Es steht zu befürchten.

Es befinden sich großartige Texte darunter und bewegende. Der Auftakt von Siegfried Lenz zeigt, warum er zu den ganz Großen der Nachkriegsliteratur gehört. Die Berichte vom Ende der Lagerhaft, von den Märschen oder den Verstecken, in die sich Juden oder Nazigegner zurückziehen mussten, lassen – ohne dass an der Qualität der Texte Abstriche zu machen wären – nur erahnen, zu welchen Grausamkeiten das NS-Regime in der Lage war. Es sind Texte zu finden, die auch heute noch Mut machen – der Loki Schmidts gehört zweifelsohne dazu, die sich von ihrem Interviewer eben nicht in das anscheinend gewünschte Selbstmitleid drängen lässt. Und es gibt kurze Blicke von außen, wie im Text Michael Gorbatschows, Stefan Heyms oder auch Willy Brandts, der im schwedischen Exil das Kriegsende erlebte. Aber das alles ist am Ende auch nur eine sehr eingeschränkte Sicht auf die so genannte Stunde Null, kein unverzichtbares Dokument.

Titelbild

Constanze Neumann (Hg.): Als der Krieg zu Ende war. 25 Geschichten von der Stunde Null.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2015.
320 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783455503647

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