Krieg und Frieden als kulturelle Signaturen des 18. Jahrhunderts

Stefanie Stockhorst gibt einen wichtigen Band zum Kriegs- und Friedensdiskurs im Zeitalter der Aufklärung heraus

Von Daniele VecchiatoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniele Vecchiato

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Mit Kriegen fiengst du an, mit Kriegen endest du, / Mit Säbel- und mit Federkriegen, / Jahrhundert!“. So lauten die Eingangszeilen der Ode „An das achtzehnte Jahrhundert“ (1797) von Johann Wilhelm Ludwig Gleim, eines Gedichts, das oft zitiert wird, um die Bedeutung militärischer Konflikte im Zeitalter der Aufklärung hervorzuheben. Wie Johannes Birgfeld in seiner monumentalen Studie zu Krieg und Aufklärung (2012) schreibt, war das 18. Jahrhundert ein „nachhaltig kriegerisches, mit Kriegsgeschehen lebendes Jahrhundert“, in dem ein großes Bedürfnis nach Information, aber auch nach „Deutung des Krieges, nach religiösen ebenso wie nach politisch und literarisch geformten Sinnangeboten“ herrschte.

Aus der direkten Erfahrung wiederkehrender Kriegszustände im 18. Jahrhundert entwickelte sich unter anderem auch jener ausgeprägte Pazifismus, der den allgemeinen Wertehorizont der Aufklärung innervierte und seinen vollkommensten Ausdruck im Diskurs um den „ewigen Frieden“ fand, etwa bei Charles Abbé de Saint-Pierre, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant. In einem Jahrhundert der Kriege blieb allerdings der Frieden – was häufig übersehen wird – nicht mehr als ein utopisch gefärbter Sehnsuchtsort, als eine dialektische Alternative zur kontingenten Krisenerfahrung der Politik und des Militärs.

Dass der Krieg als wesentlicher Erfahrungshintergrund und der Frieden als angestrebtes Ideal des 18. Jahrhunderts auch beachtliche Auswirkungen im kulturellen Leben der Zeit ausübten, versteht sich von selbst. Bisher hat sich die Dixhuitièmistik jedoch vorwiegend der Erforschung der geschichtlichen, politischen und militärischen Dimension bellizistischer Konflikte gewidmet, während die kulturelle Wahrnehmung und Deutung der Kriegserfahrung und das Reden über den Frieden nur in einzelnen, glücklichen Ausnahmen zum Objekt umfassender Untersuchungen geworden ist.

Die vorliegende Sammlung kulturgeschichtlicher Studien lenkt erneut die Aufmerksamkeit der Forschung auf die Prominenz des Themenfeldes ,Krieg und Frieden‘ in der Literatur, Philosophie und Kunst des 18. Jahrhunderts. Der von Stefanie Stockhorst herausgegebene Band präsentiert und ergänzt die Ergebnisse der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts, die im September 2012 am Frühneuzeit-Zentrum der Universität Potsdam stattfand.

Im einleitenden Kontextualisierungsversuch der Herausgeberin wird die Vielfalt der kulturellen Implikationen dieses Problemfeldes wirkungsvoll vor Augen geführt, eine Vielfalt, die sich in den verschiedenen Perspektiven und Deutungshorizonten der gesammelten Aufsätze widerspiegelt. Die 33 Beiträge, die nicht nur von Literatur- und Kulturwissenschaftlern, sondern auch von Historikern, Philosophen, Theologen und Musikwissenschaftlern stammen, sind in vier thematischen Sektionen gegliedert, die dazu dienen, die Heterogenität der Einzelstudien zu einem organischen Ganzen zusammenzuführen.

Die erste Sektion des Bandes ist dem in Kriegskontexten besonders brennenden Themenkomplex ,Rhetorik – Medien – Öffentlichkeit‘ gewidmet. Eröffnet wird sie durch die Ausführungen von Marc-André Bernier zur Funktion des Vergleichs zwischen antiken und modernen Konstellationen in der Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts und insbesondere im Werk des französischen Historiographen Séran de la Tour. Holger Böning erläutert die Strategien der Öffentlichkeitspolitik im 18. Jahrhundert und konzentriert sich dabei insbesondere auf deren Auswirkungen auf den „gemeinen Mann“ und den „gemeinen Soldaten“. Thomas Biskup geht auf die Wechselwirkungen von Politik und Literatur im Werk Friedrich des Großen sowie auf die untergründige Polemik um seinen Potsdamer Philosophenzirkel ein, während Dirk Rose eine lesenswerte Einbettung von Gotthold Ephraim Lessings Litteraturbriefe (1759–1765) im Rahmen der zeitgenössischen Publizistik und Polemik gelingt.

Der Aufsatz von Christoph Willmitzer bietet einen kenntnisreichen Überblick über den Briefwechsel des Dichters und Offiziers Ewald Christian von Kleist mit Persönlichkeiten wie dem bereits erwähnten Gleim oder Karl Wilhelm Ramler vor dem politischen und geschichtlichen Hintergrund des Siebenjährigen Kriegs. Stephanie Dreyfürst untersucht das Bild des Krieges und die Bedeutung der Gerüchte und Halbwahrheiten in der medialen Inszenierung von Krieg und Frieden in deutschen und niederländischen Quellen aus der Zeit um 1700.

Die Sektion wird von drei faszinierenden Studien geschlossen, deren interdisziplinäre Ansätze originelle Einblicke in die Thematik ermöglichen. Als besonders innovativ erweist sich der Beitrag von Marian Füssel, der Erkenntnisse und Methoden der sound studies für die Kultur- und Geschichtswissenschaft fruchtbar macht, indem er die akustische Komponente in Selbstzeugnissen und historiographischen Darstellungen des Siebenjährigen Kriegs analysiert.

Ebenso interessant ist der Aufsatz von Manfred Heidler, in dem verschiedene Gattungen der Schlachtenmusik im 18. Jahrhundert präsentiert und aus kulturhistorischer und soziomusikalischer Perspektive beleuchtet werden. Einen medizingeschichtlichen und biopolitischen Blickwinkel nimmt hingegen Robert Leventhal ein, der in seinem Beitrag auf die Entstehung der „medicinischen Policey“ in und nach dem Siebenjährigen Krieg eingeht.

Die zweite Sektion des Bandes, die das Themenfeld ,Ökonomie – Politik – Patriotismus‘ erkundet, beginnt mit einem informativen Aufsatz von Iwan-Michelangelo D’Aprile zum Problem der Staatsschulden im Europa des 18. Jahrhunderts, mit besonderem Fokus auf die geopolitische Debatte in der schottischen und preußischen Aufklärung. Irmgard Egger beschäftigt sich ferner mit dem Konflikt zwischen expandierendem Militärwesen und Menschenrechtsanspruch in der Aufklärung und untersucht die Produktivität dieser Janusköpfigkeit insbesondere im Werk Friedrich Schillers.

Auf die Lehre des Handels als friedensstiftende Praxis (doux commerce) bei Charles de Montesquieu und Voltaire richtet seine Aufmerksamkeit Dieter Hüning, während Sabine Volk-Birke die künstlerische Aufarbeitung des Jakobiteraufstands von 1745/1746 anhand diverser Medien untersucht. Es folgt der elegant geschriebene Aufsatz von Lan-Phuong Phan über die identitätsstiftende Bedeutung Friedrichs des Großen und den Beitrag bellizistischer Konfrontationen zum Prozess des Staatsaufbaus. Harald Heppner erläutert die Problematik der österreichischen Militärgrenze im 18. Jahrhundert, während Andreas Önnerfors den Blick auf Skandinavien eröffnet mit einer Untersuchung der patriotischen Ordensgesellschaft Wallhall und ihrer Bedeutung als Vorstufe des Anjalabundes.

Der Beitrag von Hannah Spahn zu den Konzeptionen von Krieg und Frieden in der amerikanischen Gründergeneration schließt die zweite Sektion und leitet zugleich die dritte ein, in der es um die Dialektik und Dynamik zwischen ,Bellizismus‘ und ,Pazifismus‘ geht: Der Autorin zufolge herrschte im Amerika der Revolutionskriege eine wesentliche Spannung zwischen dem Bekenntnis zum Krieg (und zu Kriegshelden wie George Washington) und einer gewissen Friedensrhetorik, die sich besonders unter Thomas Jefferson entwickelte und auf eine immer dezidiertere Unterscheidung der amerikanischen Identität vom kriegerischen Europa abzielte.

Die dritte Sektion wird durch einen stringenten Allgemeinüberblick von Beatrice Heuser über Krieg und Frieden im Zeitalter der Aufklärung eröffnet, in dem auf die Kontinuitäten mit den Kriegsauffassungen und -Praktiken in früheren Jahrhunderten eingegangen wird, und die wichtigsten Diskurse zur Legitimität der Kriegsziele sowie zur Einrichtung eines friedlichen Staatensystems umrissen und durch einen kurzen Ausblick auf den Paradigmenwechsel in der Kriegsperzeption unter Napoleon ergänzt werden.

Es folgt ein interessanter Beitrag von Laurenz Lütteken zur Militärmusik im josephinischen Wien und speziell zur Bedeutung des Marsches in der Oper Così fan tutte (1790) von Lorenzo da Ponte und Wolfgang Amadeus Mozart. Eine juristisch-diplomatische Perspektive weisen hingegen die Aufsätze von Michael Zwanger und Andrea Schmidt-Rösler auf, die sich respektive mit dem Recht der Kriegsführung (ius in bello) und mit den Sprachen der Friedensverträge im 18. Jahrhundert beschäftigen.

Die Interrelationen zwischen protestantischer Theologie und Patriotismus bilden den Gegenstand des Aufsatzes von Christian Senkel, während Constanze Baum die kaum erforschte Rolle der Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth als politische Beraterin ihres Bruders Friedrich des Großen in der ersten Phase des Siebenjährigen Kriegs auslotet und die Debatte um Krieg und Frieden in der Korrespondenz der königlichen Geschwister rekonstruiert.

Geschlossen wird die Sektion durch die Beiträge von Giuseppe Motta, der den wenig bekannten Rescrit de l’Empereur de la Chine (1761) von Voltaire in den Kontext der philosophischen Debatten zum ewigen Frieden situiert, und von Robert Charlier, der Johann Wolfgang von Goethes Masken- und Festspieldichtung aus der Zeit zwischen 1781 und 1828 untersucht und dabei besonders die kriegsskeptische Haltung des Autors sowie sein Herbeiwünschen einer neuen, ästhetisch-harmonisierenden Epoche der Versöhnung und des Friedens in den Blick nimmt.

Die vierte und letzte Sektion des Sammelbands enthält Beiträge zum weitreichenden Themenkomplex ,Erbauung – Erinnerung – Erziehung‘. Nach dem Aufsatz von Bernhard R. Kroener zum Bellizismus im binnenmilitärischen Diskurs des späten 18. Jahrhunderts bietet Johannes Birgfeld eine aufschlussreiche Analyse der Verhältnisse von Krieg, Kirche, Staat und Literatur und insbesondere der Wechselwirkungen zwischen Kriegspredigten und Kriegslyrik im öffentlichen Diskurs. Den Zusammenhang von Krieg und Religion thematisiert auch Angela Strauß, die auf den publizistischen und theologischen Gehalt der Patriotischen Briefe (1758) des Feldpredigers Adolph Dietrich Ortmann eingeht.

Die Aufsätze von Sebastian Schmiedler und Steffi Bahro ermöglichen originelle Einblicke in die literarische Entfaltung der Kriegs- und Friedensthematik, indem sie Texte aus der geschichtserzählenden Kinder- und Jugendliteratur des 18. Jahrhunderts beziehungsweise aus der Märchensammlung der Brüder Grimm in Betracht ziehen. Stefan W. Römmelt erläutert die Erinnerungspolitik hinter den 200-Jahr-Feiern des Augsburger Religionsfriedens von 1755 am Beispiel der Jubiläumsfeier an den Universitäten von Wittenberg und Leipzig, während Isabelle Deflers die Strategien der Nachahmung des preußischen Militärmodells durch die französische Armee nach dem Ende des Siebenjährigen Kriegs untersucht.

Der Band schließt mit dem schönen Beitrag von Franz Fromholzer und Jörg Wesche zum Nachkriegsbewusstsein im 18. Jahrhundert und zur diskursiven Aufarbeitung des Siebenjährigen Kriegs in Jakob Michael Reinhold Lenz’ Langgedicht „Die Landpagen“ (1769) und Johann Wilhelm von Archenholz’ Geschichte des siebenjährigen Krieges (1789). Fromholzer und Wesche laden dazu ein, über die Inventur einer Nachkriegsliteratur für die Zeitspanne zwischen dem Siebenjährigen Krieg und den Befreiungskriegen nachzudenken, um charakteristische Themen, Rhetoriken und Schreibstrategien sichtbar zu machen und zu analysieren, wie es die Germanistik im Fall anderer großer Umbruchssituationen (etwa dem Dreißigjährigen Krieg oder dem Zweiten Weltkrieg) bereits gemacht hat.

Insgesamt bietet der Band ein breites und differenziertes Spektrum an Untersuchungsgegenständen und -Perspektiven und leistet einen bedeutenden Beitrag zur Erforschung verschiedener Aspekte des Kriegs- und Friedensdiskurses im „kurzen 18. Jahrhundert“ (1701–1789). Natürlich kann ein Tagungsband zu einem solch komplexen und umfassenden Problemfeld keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben, aber die hier versammelten Aufsätze, die sich durch Präzision, Originalität und Faszinationskraft kennzeichnen, bilden einen aussagekräftigen Querschnitt des Themas.

Titelbild

Stefanie Stockhorst (Hg.): Krieg und Frieden im 18. Jahrhundert. Kulturgeschichtliche Studien.
Wehrhahn Verlag, Hannover 2015.
680 Seiten, 48,00 EUR.
ISBN-13: 9783865254245

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