Erinnerungsfotos an die Dienstzeit in Auschwitz

Das „Höcker-Album“ zeigt die SS-Belegschaft des KZs in ihrer Freizeit abseits der Mordaktionen

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Mörder führten gewissenhaft Buch über ihre Mordtaten. In den Konzentrations- und Vernichtungslagern machten sie ihr Tun aktenkundig, um ‚Erfolge‘ zu dokumentieren. In den Akten versachlichte die SS ihre Verbrechen und so sind auch die Fotos, die die SS in Auschwitz aufnahm von falscher Harmlosigkeit. Sie dokumentieren Bauarbeiten auf dem Gelände oder den Besuch Heinrich Himmlers im Jahr 1942. Solche Fotos zeigen nichts von den Verbrechen in den Lagern.

Immer wieder aber fotografierten die Täter an den Orten ihrer Taten auch, um ihre ‚Arbeit‘ im Vernichtungsprozess zu dokumentieren und zur ‚privaten Erinnerung‘ in Fotoalben aufzubewahren. Oft wurden dann die Fotos in sorgfältig gestaltete Alben geklebt und mit pedantischer Schönschrift betitelt. So, wie man dergleichen Aufnahmen eben „liebevoll aufbewahrt“, damit sie, wie Susan Sontag einmal über das Fotografieren in der Familie schrieb, zur „Portrait-Chronik“ werden. Bekannt ist beispielsweise der „Stroop-Bericht“, ein vom verantwortlichen SS-Führer Jürgen Stroop angelegtes Fotoalbum über die brutale Zerstörung des Warschauer Ghettos 1943. Fotos aus diesem Bericht sind bis heute Ikonen des Vernichtungsprozesses – ohne dass wir uns immer darüber klar sind, woher diese Fotos stammen und in welcher Absicht sie entstanden.

Auch die Fotos aus dem „Lily Jacob-Album“ hat wohl ein SS-Offizier in Auftrag gegeben. Sie zeigen den Ablauf der „Ungarn-Aktion“, die Ermordung von mehr als 300.000 ungarischen Juden in Auschwitz-Birkenau während der Monate Mai bis Juli 1944. Dieses ‚Album‘ fand 1945 am Tag ihrer Befreiung die Überlebende Lily Jacob in einer Baracke des Lagers. Auf den Fotos erkannte sie ihre eigene Ankunft im Lager. Sie erkannte ihre Eltern und jüngeren Brüder kurz bevor sie ermordet wurden. Bis heute sind diese Aufnahmen die einzigen, die die Ankunft und Selektion der Menschen an der „Rampe“ in Auschwitz zeigen. Als Beweismittel dienten sie in den Frankfurter Auschwitz-Prozessen in den 1960er-Jahren. Heute befindet sich das Album in Yad Vashem.

Einer der Angeklagten in Frankfurt war Karl Höcker, Adjudant des Lagerkommandanten Richard Baer. Als eine Erinnerung an ihre gemeinsam verbrachte Dienstzeit in Auschwitz war das Fotoalbum gedacht, das ein US-Nachrichtenoffizier 1945 in Frankfurt gefunden hatte. Er behielt es in seinem Besitz, erst 2006 übergab er das Album dem United States Holocaust Memorial Museum.

Die 116 Fotos in diesem Album entstanden zur gleichen Zeit wie die Fotos des „Lily Jakob-Albums“. Wahrscheinlich wurden einige der Fotos auch von den Fotografen gemacht, die die Geschehnisse an der „Rampe“ fotografiert hatten. Das muss man sich vor Augen halten, um die harmlos erscheinende Normalität dieser Bilder verstehen zu können. Sie zeigen die Belegschaft des Lagers bei allerhand Freizeitbeschäftigungen – beim Ausflug in die „Solahütte“, ein bei der SS beliebter Ausflugsort an der Sola etwa 30 Kilometer von Auschwitz entfernt, beim gemeinsamen Singen mit Akkordeonbegleitung, beim fröhlichen Ausflug mit SS-Helferinnen („Mit den SS-Maiden auf der Solahütte 22.7.44“ notiert der Albumbesitzer mit feiner Tintenschönschrift), beim gemütlich-‚kameradschaftlichen‘ Beisammensein bei ‚einem guten Glas Wein‘, beim Entzünden der „Jultanne“ Weihnachten 1944. Kurzum: Entspannung außerhalb der Dienstzeit. Dienstzeit, das war in diesen Tagen die grausame Mordaktion an den ungarischen Juden, durchgeführt von eben den Männern, die sich hier gutgelaunt in ihrer Freizeit ablichten lassen.

Zu Recht weisen die Herausgeber in kurzen einführenden Beiträgen darauf hin, dass dieses „Auschwitz durch die Linse der SS“, wie sie ihren Band untertiteln, Ausdruck jener Selbstverständlichkeit ist, mit der die Mörder ihr Tun als normale ‚Arbeit‘ begreifen. Ein solches Album mit Fotos aus der gemeinsamen Dienstzeit, der seligen Erinnerung an die ‚tolle Kameradschaft‘ könnte überall entstanden sein.

Doch die harmlos scheinenden Bilder können nie ganz von der brutalen Wahrheit ablenken. Auch in ihrer Freizeit tragen die SS-Männer Uniformen: Reiterhose und Stiefel – Insignien der selbsternannten „Herrenmenschen“ und ihrer Macht. Die Herrschaftspose geht niemals verloren. Ebenso die rangbestimmten Hierarchien. Die vermeintliche Kameradschaft ist tatsächlich ein rangabhängiges Hintereinander, das auf allen Fotos penibel eingehalten wird. Beispielhaft zeigt dies eine Aufnahme, auf der das männliche Lagerpersonal beim gemeinsamen Singen im Grünen zu sehen ist. Ein Akkordeonspieler, mit dem Rücken zum Fotografen, gibt den Takt vor. Die Männer mögen in diesem Moment gemeinsam ein lustiges Ständchen aus Anlass der soeben ‚erfolgreich‘ abgeschlossenen „Ungarn-Aktion“ singen. Zur Überwachung dieser Aktion war der frühere Kommandant Rudolf Höß gekommen, den man nun mit einem feierlichen Ständchen verabschiedete. Die Männer auf dem Foto sind streng nach Rang aufgestellt. Vorne die höheren Ränge, sie tun jovial-kameradschaftlich, weiter hinten die Erfüllungsgehilfen. Alle eint ihre ‚Arbeit‘ – die Ermordung von Menschen! 

Der Band versieht die 116 Fotos mit knappen aufschlussreichen Kommentaren. Immer wird Name, Funktion und Dienstrang der abgebildeten Person genannt. Acht begleitende Aufsätze liefern vertiefende Informationen zu den Personen, zu Auschwitz sowie zur Bedeutung des „Höcker-Albums“ für die wissenschaftliche Forschung; ein Personenregister vervollständigt den Band.

Titelbild

Christophe Busch / Stefan Hördler / Robert Jan van Pelt (Hg.): Das Höcker-Album. Auschwitz durch die Linse der SS.
Übersetzt aus dem amerikanischen Englisch von Verena Kiefer, Birgit Lamerz-Beckschäfer, Peter Oliver Loew.
Verlag Philipp von Zabern, Darmstadt 2016.
340 Seiten, 49,95 EUR.
ISBN-13: 9783805349581

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