Trip um den Erdball mit 101 Anekdoten im Gepäck

Daniel Gastmann bereist unentdeckte Orte

Von Miriam StriederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Miriam Strieder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Reiseliteratur ist seit einigen Jahren wieder in Mode – je abgelegener und exotischer die Orte, Fortbewegungsmittel und Erlebnisse, desto besser, denn die Abenteuerlust und die Gier nach Neuem, Fernem und Unerreichbarem scheint auch im digitalen Zeitalter nicht nachzulassen. Im Gegenteil erfahren authentische Berichte oder die, die sich dafür ausgeben, wieder höhere Aufmerksamkeit. Etwa mit dem Erscheinen des Buches „Atlas der abgelegenen Inseln“ von 2009 ist das Interesse für Berichte über Fahrten rund um den Globus wieder gestiegen, sodass sich auch die DuMont-Reihe „Reiseabenteuer“ wachsender Beliebtheit erfreut.

Da erscheint es nur folgerichtig, dass ein „Atlas der unentdeckten Länder“ noch ein Desideratum der wachsenden Reiseliteratur ist, das nun geschlossen wurde. Daniel Gastmann hat einen Band vorgelegt, der ein buntes Potpourri an unzugänglichen, abgelegenen oder einfach nur vergessenen Orten versammelt. Davon gibt es viele auf der Welt, eine Auswahl ist da sicher schwergefallen. Gastmann hat sich für Traumziele in der Südsee, für Pitcairn, den Aralsee, noch schlummernde Wüstenstaaten, Sperrzonen der einen oder anderen Art, für nicht existente Staaten und die Tiefen der menschlichen Seele entschieden.

Er unternimmt nicht den Versuch, seine Auswahl zu begründen und so ergibt sich ein buntes Mosaik an Uneinheitlichkeiten, die nur bedingt dadurch vereint werden, dass die besuchten Länder, Städte und Regionen tatsächlich unentdeckt sind. Das ist vielleicht auch gewollt: Ohne roten Faden kann alles als unentdeckt gelten: der heimische Garten ist ebenso unbekannt wie die Insel Robinson Crusoes. Unentdeckt ist jedes neue Kapitel in Gastmanns anschaulichem und beschaulichem Buch, das bei der Entdeckung aber nur bedingt weiterhilft, sondern sich dagegen zuweilen regelrecht zu sperren scheint. Es gibt keine Reiseroute, keine Reihenfolge und ganz sicher keine Karte in diesem Atlas, die dem Leser hilfreich zur Seite stehen könnte. Man kann an beliebiger Stelle mit dem Buch beginnen, blättern, stöbern, einzelne Kapitel lesen. Allein ist man dabei nie, denn der Autor nimmt seine Leser zwar nicht an die Hand, aber er leitet ihn dennoch. Dabei ist er wohltuend unaufgeregt und lässt Raum für die Orte, ohne sich selbst in den Vordergrund zu stellen.

Der Autor verfügt über das Talent, Anekdoten zu erzählen und Begegnungen mit Menschen so wiederzugeben, dass sie dabei lebendig werden. Dass er dabei trotzdem Geschichten der und über die Orte zu erzählen vermag und sich nicht im Fragmentarischen verliert, ist eine Kunst, die das Buch lesenswert macht. Ohne rührselig Schicksale zu erzählen, berichtet er nüchtern und trotzdem emotional von Menschen rund um den Globus, die ihre Heimat, einen unentdeckten Ort, lieben, um ihn bangen, in ihm und für ihn leben. Dabei wird kein moralischer Zeigefinger erhoben. Gastmann führt seinen Lesern in sachlicher Art und Weise den Alltag vor Augen etwa vom schwelenden Nahostkonflikt, vom rapide verschwindenden Aralsee oder vom Leben auf der Insel der Bounty-Meuterer.

Unentdeckt sind die meisten dieser Orte freilich schon lange nicht mehr. Ein Großteil der Leser des Atlas wird aber keinen der Orte jemals selbst besuchen, auch wenn Pitcairn und die Südsee seit mehreren Jahren Ziel für Individualtouristen, Kreuzfahrtgäste oder Aussteiger sind. So muss auch Gastmann feststellen, dass der heilige Berg Athos längst ein Touristenmagnet für männliche Besucher ist und die geringe Anzahl von zugelassenen Pilgern eher eine Marketingstrategie zu sein scheint als ein solides Ansinnen. Der Faszination, Weltabgeschiedenheit und Weltvergessenheit, aber auch der gerissenen Weltklugheit der Regionen tut das aber keinen Abbruch.

Nur die Reiselust, den Wunsch, sofort die Koffer zu packen und zur Not auch ohne loszuziehen, die will sich bei der Lektüre einfach nicht einstellen, vielleicht weil Gastmann keine sentimentalen Geschichten des Fernwehs erzählt, sondern analytisch, aber doch mit Zuneigung die Menschen betrachtet, die ihm begegnen. Er berichtet, doch schwärmt dabei nicht von Orten, wo die meisten nie einen Fuß hinsetzen werden und es auch gar nicht wollen.

Wenn einer eine Reise tut, so kann er ein Buch schreiben. Zum Lesen muss er noch nicht einmal seinen Lehnstuhl verlassen. Die Erkenntnis, dass viel mehr unentdeckt ist, als wir vermuten, lässt einige vielleicht die Reise in die unentdeckte Weiten der Seele antreten. Unter diesem Aspekt ist der „Atlas der unentdeckten Länder“ die ideale Lektüre sowohl für diejenigen, die am liebsten mit dem Finger auf dem Globus verreisen, als auch für jene, die stets entdecken wollen, was hinter dem nächsten Horizont liegt.

Titelbild

Dennis Gastmann: Atlas der unentdeckten Länder.
Rowohlt Verlag, Berlin 2016.
270 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783871348259

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