Es geht nicht um Recht und Gerechtigkeit

Tom Cooper hat einen Roman über das Überleben nach Katrina und der Ölkatastrophe der Deepwater Horizon geschrieben

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Auswirkungen der Katastrophen im Golf von Mexico, dem Wirbelsturm Katrina im Jahr 2005 und dem Brand der Ölplattform Deepwater Horizon 2010, gehen über die Zerstörungen, die der Hurrikan bewirkte, und die Ölverschmutzung, die den gesamten Golf von Mexico beeinträchtigte, hinaus. Die lokalen Sozialsysteme sind nicht so leicht wiederherzustellen. Auch wenn die Moderne diese Rückzugsgebiete anachronistischer sozialer Lebensformen noch verschont haben mag, ihre ureigensten Katastrophen holen nach, was die normale sowieso schon desaströse Entwicklung noch übersehen haben mag.

Freilich, jene Ansammlungen kleiner Fischer, die seit Generationen nachts auf Krabbenfang gehen, um dann vom Ertrag halbwegs erträglich, soll heißen auf einem niedrigen Niveau existieren zu können, haben eh keinen Puffer, der ihnen das Überleben im Extremfall ermöglicht. Katrina brachte die Mutter des Helden dieser Geschichte, Wes Trench, um. Die Ölpest nach der Deepwater Horizon nimmt erst seinem Vater und dann auch ihm die Lebensgrundlage.

Von jenem gelegentlich noch erkennbaren sozialen Leben am Rande der Zivilisation – und die USA und der us-amerikanische Krimi haben zahlreiche solcher Randlagen – bleibt also nichts mehr übrig, das zu bewahren sich lohnen würde.

Der Fang wird mit jeder Ausfahrt schlechter, über dem Wasser der Lagune schwebt ein schwerer Ölgeruch, der alles zu betäuben scheint, die Restaurants lassen sich die Krabben aus Fernost einfliegen, weil niemand mehr die hiesigen essen will. Niemand will mehr aufs Meer hinausfahren – es lohnt sich einfach nicht.

Die Zahl der Fischer wird immer kleiner. Irgendwann werden die letzten ihre Boote anlanden, sie vergessen und irgendetwas anderes tun, etwa ölverschmierte Pelikane im Auftrag von BP säubern, wofür es immer ein paar Dollar gibt.

Dafür lohnt sich anderes, etwa die Suche nach verborgenen Schätzen, der sich der einarmige Lindquist verschrieben hat; schrullig und verarmt auch er, hoffnungslos und immer nur mit dem Gedanken daran, dass er eines Tages den Schatz heben wird, der vor Jahrhunderten dort vergraben wurde. Seine Leute kennen diese Geschichten.

Lindquist gerät den Brüdern Toup in die Quere, weil er ihrer Insel zu nahe kommt, wo sie Marihuana anbauen. Aber nicht Lindquist, sondern ein merkwürdiges Pärchen, Cosgrove und Hanson, rauben die Plantage aus, was schließlich genau zu dem führt, was man erwartet hat.

Wes und sein Vater liegen im Streit miteinander. Wesʼ Vater trauert noch immer um seine Frau. Wes nimmt ihm indes übel, dass er damals entschieden hat, nicht vor Katrina zu fliehen, sondern dazubleiben. Aber sie sprechen nicht darüber, wir sind hier immerhin im (N)Irgendwo der Vereinigten Staaten.

Und dann ist da noch Grimes, selbst eine Sumpfratte, der den Leuten im Auftrag der Ölgesellschaft schäbige Entschädigungen aufschwatzen soll. Das alles für ein Versprechen auf eine Beförderung, auf die er wohl ewig warten wird.

Wes, dessen Vater, die Brüder Toup, Lindquist, Cosgrove, Hanson und Grimes – das Personal dieses Romans kann sich sehen lassen. Cooper baut entlang jeder seiner Figuren seine verschachtelten Erzähllinien, die sich gelegentlich berühren, sich ergänzen, zum Teil aber auch unberührt nebeneinanderherlaufen.

Er arrangiert das geschickt und mit einem guten Gefühl für die Balance der einzelnen Passagen, deren Protagonisten sich immer wieder abwechseln. Dabei steigert er die Spannung nach und nach bis zum Höhepunkt, auf dem sie sich endlich löst – im Amoklauf einer der Toup-Brüder, in den Schießereien um die Marihuana-Insel, in Überfällen von Alligatoren, im großen Fund, den Lindquist macht, und in einem großartigen Schlussbild.

Dieser grandiose Roman ist auf ein unumgehbares Finale hingeschrieben, in dem sich alle Gewalt, die hier am Rand der Gesellschaft möglich ist, Bahn bricht. Dass die Brüder Toup am Ende alles niedermachen, was sich ihrer Insel zu nähern droht, ist von Anfang an zu sehen. Dass aber die eigentliche Bedrohung, der eigentliche Anlass für die Eskalation nicht Lindquist ist, sondern dieses Zufallspaar Cosgrove und Hanson, nehmen die Leser, aber nicht die Romanakteure wahr. Bis zur Konfrontation zwischen Hanson und Cosgrove einerseits und den Brüdern Toup andererseits wissen beide Paare nichts voneinander, aber sie sind aufeinander abgestimmt, bis in den Tod jeweils von jeweils einem der beiden.

In „Das zerstörte Leben des Wes Trench“ geht es naheliegend nicht um Recht und Gerechtigkeit, es geht nicht darum, einen Täter zu finden, es gibt hier auch keinen Täter, der der Welt seine Lektüre aufzwingen will. Hier agieren lediglich Leute, die ihre eigenen Sachen machen, und dabei aufeinanderstoßen. Dass dies gewalttätig sein kann, lässt sich denken.

Aber eben nicht, dass das alles in einem Schlussbild endet, in dem diese randständige Gesellschaft ihre Überlebensfähigkeit demonstriert. Wesʼ Boot wird endlich fertig und die spärliche Anerkennung des Vaters läutet so etwas wie eine Versöhnung ein. Das Boot aber wird nicht mit einem Trailer zu Wasser gelassen, sondern so, wie es früher üblich und wohl auch notwendig war: auf den Schultern aller, die hier leben. Am Schluss steht mithin das großartige Bild einer Gesellschaft, die am Ende ist, der das aber so egal ist, dass sie es überleben wird. Und dieser Wes Trench, dessen Leben ja in der Tat zerstört ist, lebt es einfach weiter.

Titelbild

Tom Cooper: Das zerstörte Leben des Wes Trench. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Peter Torberg.
Ullstein Verlag, Berlin 2016.
384 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-13: 9783550080968

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