Facetten der europäischen Universitätsgeschichte

Eine Reise durch die Zeit

Von Benjamin FreiwaldRSS-Newsfeed neuer Artikel von Benjamin Freiwald und Isabell HeinrichsRSS-Newsfeed neuer Artikel von Isabell Heinrichs

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit dem Bologna-Prozess geriet eine der ältesten Universitäten Europas in die Schlagzeilen. Durch den Streitpunkt, der gegenwärtig über die Vereinheitlichung der Studiengänge entbrennt, bleibt sie dort. Steigende Studierendenzahlen und das zugleich immer wieder lautstark kritisierte sinkende Niveau an den Universitäten – nahezu alle Absolventen mit allgemeiner Hochschulreife „müssten“ schließlich heutzutage studieren –, lassen den Ruf nach Eliteuniversitäten einerseits und der Möglichkeit, europaweit das Studium absolvieren zu können, andererseits nicht verklingen. Stefan Fisch, Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, nimmt sich diesem aktuellen und brisanten – und durchaus schon oft diskutierten – Thema an.

Auch wenn zur Universitätsgeschichte fraglos schon Vielerlei publiziert worden ist, so  beschränken sich die meisten Autoren doch auf die Geschichte eines Landes oder noch dezidierter auf eine einzelne Institution. Fisch breitet demgegenüber einen Blick über einen gesamten Kontinent aus und konkretisiert seine Ausführungen anhand zahlreicher bedeutsamer Institutionen, wie zum Beispiel der Berliner Humboldt Universität.

In seinem Buch widmet sich der Autor vor allem den deutschen Universitäten, den „Grand Écoles“ in Frankreich sowie denjenigen Universitäten, die in der angelsächsischen Traditionen verwurzelt sind. Zugleich ist Fisch darauf bedacht, die gesamteuropäische Entwicklung der über ein Jahrtausend währenden Institution ab dem Mittelalter zu beschreiben und zu erklären. Die in dreizehn Kapitel gegliederte Darstellung fokussiert unter anderem die interne Organisation der Universitäten, ihre Entwicklung in den einzelnen Epochen sowie ihre Entstehung in den verschiedenen Ländern.

Um insbesondere diese drei Aspekte nachzuvollziehen, ist zunächst der Sprung ins Mittelalter erforderlich, da sich in dieser Epoche ihre Anfänge abzeichnen, wie Fisch selbst erläutert. Die erste, in Salerno gegründete Universität und die Selbstorganisation dieser Institution fanden in Europa so großen Anklang, dass Universitäten in Frankreich und Colleges in Großbritannien folgten. Voraussetzung für ein Studium an den Institutionen war das Beherrschen der lateinischen Sprache, eine Prämisse die sich bis in das 18. Jahrhundert halten sollte. Von großem Interesse ist für Fisch vor allem die Veränderung des Wissenschaftsverständnisses hinsichtlich der Forschung. Dass „Forschung als Suche nach stetiger Erweiterung der Erkenntnisse“ zu Beginn noch nicht in einer derartigen Formel als erklärtes Ziel der Universitäten aufgeht, ändert sich ab 1800.

Europa zeichnet sich, so der Autor, ab der Frühen Neuzeit durch „eine besonders dichte Universitätslandschaft aus“. Durch die Kolonialisierungspolitik Spaniens wurde die Europäische Universitätsidee in die Welt hinausgetragen, womit auch eine Weiterentwicklung der Lerninhalte einherging. Während sich im Mittelalter die Studierenden und die Lehrenden mit „autoritären Schriften“ beschäftigten, wurden ab der Frühen Neuzeit gegenwartsbezogene Themen sukzessive interessanter.

Das 19. Jahrhundert stellt somit für Fisch eines der prägnantesten Jahrhunderte für die europäische Universitätsgeschichte dar. Nach der Französischen Revolution wurden in Frankreich einerseits die Monopolstellung der Universitäten sowie andererseits diese selbst abgeschafft und das freie Recht auf Bildung formuliert. Die sogenannte „École“ trat an ihre Stelle, zunächst nur für Medizin und Recht. Die „Grandes Écoles“, die in Frankreich bis heute für höhere Bildung stehen, gelten als ein Erbe der Revolution. Auch in Deutschland, zunächst an der Humboldt Universität in Berlin, änderte sich vor allem der „Stand“ der Studenten: die Studierenden wandelten sich in ihrem Rollenverständnis zu Individuen, und das Studium sollte nicht nur auf einen Beruf vorbereiten, sondern auch im Rahmen der „Selbst-Erziehung zu Sachlichkeit, Vorurteilslosigkeit und Wissenschaftlichkeit“ verhelfen. Ferner findet die „akademische Freiheit“ Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Europa und an den Elite Colleges in den heutigen USA Anklang.

In Deutschland wurde vor allem die Entstehung von technischen Hochschulen vorangetrieben, zudem kam es zunächst in Bayern zu zwei staatlichen Schulsystemen: den klassischen philosophisch-philologischen und den technischen Schulen. Mitte des 19. Jahrhunderts konnten sich auch Frauen an Universitäten etablieren, jedoch mit erheblichen Einschränkungen. Im Zuge der Emanzipationsbewegungen sollte sich dies dann Anfang des 20. Jahrhunderts ändern.

In der NS-Zeit kommt es in Deutschland dann zu einer flächendeckenden Entlassung jüdischer Professoren und StudentenInnen. Überwunden wurden diese Jahre durch die Siegermächte des Zweiten Weltkriegs, welche die Universitäten wieder zugänglich machten respektive neu gründeten.

Die chronologisch gewählte, für den Einstieg in die Universitätsgeschichte durchaus empfehlenswerte Darstellung auf knappen 130 Seiten erlaubt dem Leser, den Entwicklungsprozess der europäischen Universitäten gut nachzuvollziehen, der dann am Ende durch eine Zeittafel mit bedeutenden Gründungsdaten sowie wichtigen Ereignissen übersichtlich zusammengefasst wird. Auch historische Meilensteine außerhalb Europas werden in die Übersichtspublikation mit integriert. Die teilweise den Leser etwas verwirrenden unübersichtlichen Orts- und Zeitsprünge sind dabei wahrscheinlich der im Rahmen der Beckschen Reihe gebotenen Kürze geschuldet.

Ein Beitrag aus der Redaktion Gegenwartskulturen der Universität Duisburg-Essen

Titelbild

Stefan Fisch: Geschichte der europäischen Universität. Von Bologna bis Bologna.
Verlag C.H.Beck, München 2015.
128 Seiten, 8,95 EUR.
ISBN-13: 9783406676673

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