Ermittlungen mit Fliegenfalle

Silvia Stolzenburg legt in „Die Fliege“ neue Fährten – dieses Mal im Darknet

Von Angelika KlassenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Angelika Klassen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach Tödliche Jagd (2015) veröffentlicht Silvia Stolzenburg mit Die Fliege die Fortsetzung ihrer Krimi-Reihe. Kaum ist der Sommerurlaub beendet, wartet ein neuer Fall auf Oberkommissarin Anna Benz. In einem Stuttgarter Waldstück finden Wanderer eine in Plastikfolie gewickelte Leiche, deren misshandelter Zustand aus rechtsmedizinischer Sicht auf mehr als einen Täter deutet. Sind die Wunden des toten Mannes Zeugnis eines makabren Rituals? Wird nun nach einer Gruppe psychisch Kranker gefahndet oder ist der grauenvolle Fund das Ergebnis einer außer Kontrolle geratenen Situation? Zusammen mit ihrem Kollegen Markus Hauer beginnen die Ermittlungen. Identifizierbare Tatverdächtige sowie klare Motive fehlen. Die wenigen und kaum validen Zeugenaussagen werfen nur noch mehr Fragen auf. Weitere, mit dem Fall im Zusammenhang stehende Morde lassen diesen unlösbar erscheinen. Nach einiger Zeit führen dubiose Fährten das Kripo-Team in das undurchsichtige Milieu der Cyberkriminalität.  

Man wird direkt ins Geschehen hineingeworfen, leidet mit, will die wahren Umstände kennen. Die Fliege wird durch irreführende Hinweise immer komplexer, verliert dabei jedoch nicht den roten Faden. Selbstreflexionen und Beobachtungen der Protagonistin Anna Benz, verschiedene Perspektiven der Figuren sowie die emotional aufgeladene Innenansicht von Tätern verleihen dem Roman eine besondere Note. Geradezu kaleidoskopisch werden Informationsfetzen zusammengeführt und bilden letztlich als unterschiedliche Puzzlestücke ein Panorama der Ermittlungslandschaft. Was allerdings noch bis zur Mitte des Buches funktioniert, erweist sich zum Ende hin als wenig sinnvolles Arrangement. Der Spannungsgrad wird rapide gesenkt, während sich beim Lesen ein Täterverdacht aufdrängt. Der Schluss wird unnötig in die Länge gezogen, der Überraschungseffekt bleibt mäßig.  

Die Autorin bietet interessante Einblicke in die Recherchearbeit von Verbrechensermittlern und erweckt den Eindruck eines einwandfreien fachlichen Know-Hows – und das zu Recht. Schließlich pflegt sie Kontakte zur Stuttgarter Kriminalpolizei, welche beim Verfassen des Romans als nützliche Informationsquelle dienten. Stolzenburg selbst recherchiert in Archiven, bei LKA, SEK, Kripo und Rechtsmedizin, so dass der fiktive Fall samt seiner Figurenkonstellation überzeugt. In Anbetracht der wachsenden Cyberkriminalität befindet sich die Autorin auf der Höhe der Zeit. Bereits der kuriose Titel Die Fliege weist unmerklich auf die Hauptthematik hin und wird im Verlauf der Geschichte nachvollziehbar. Gerade im Zusammenhang mit dem TOR-Browser erhält diese eine spannungsgeladene Dynamik, da in einem verschlüsselten Netzwerk Kriminalität nur schwer aufzudecken ist. Die Problematik, vor der reale Ermittelnde oftmals stehen, zeigt sich auch in den häufig im Dunkeln tappenden Figuren. Schade ist jedoch, dass Lesende, die kein Wissen über das sogenannte Darknet verfügen, die Brisanz des Falles kaum einschätzen können.

Neben den regelmäßigen Aufenthalten an Tatorten und im SOKO-Raum hat Oberkommissarin Benz noch ganz andere Schwierigkeiten zu bewältigen. Beruflicher Alltag und private Krisen stellen eine authentische Mischung dar, die Figuren bleiben keine bloßen Skizzen. Ständige hämische Gedanken der Protagonistin über dieselben Personen in ihrem Umfeld erscheinen zunehmend lästig, können aber auch durch die Überzeichnung Charaktermerkmale und Konflikte akzentuieren. Trotz gelungener Figurenkonstellation, sensibler Innenperspektiven und anfänglich spannungsvollem Aufbau, enttäuscht ein flacher Humor: „‚Es gibt drei Arten von Menschen‘, philosophierte Markus. ‚Nette, Arschlöcher und Feiglinge. Und ich glaube, die drei gehören eindeutig zu den letzten beiden Kategorien.‘ Diese Weisheit brachte ihm ein paar Lacher ein.“

Mit Hilfe des generell lockeren Sprachduktusʼ kann jedoch über kleine Unpässlichkeiten hinweggesehen werden. Die Fliege ist ein mit viel Liebe zum Detail und Sorgfalt geschriebener Roman. Die Autorin bewegt sich sachkundig auf ihrem Terrain und überzeugt mit kriminellen Verstrickungen, authentischen Figuren und komplexen Zusammenhängen. Regelmäßige Wiederholungen der Tatbestände – sei es als Konversation oder Innenreflexion – geben beim Lesen eine gute Orientierung. Leider kann der Spannungsbogen aufgrund der mehrperspektivischen Ansicht nicht durchgängig aufrecht gehalten werden. Diesen Makel gleichen die abschließenden Kapitel anhand bis dahin fehlender Beweismittel aus, indem sie eine analytische Rekonstruktion der Tat aufbieten. Trotz der genannten Mängel ist Die Fliege ein empfehlenswertes Buch für gemütliche Abendstunden. Wer von den Kriminalfällen des Duos Benz und Hauer nicht genug bekommen kann, darf sich auf den dritten Teil der Serie freuen: Noch Ende des Jahres erscheint Tödliche Verdächtigungen.

Titelbild

Silvia Stolzenburg: Die Fliege. Kriminalroman.
Bookspot Verlag, München 2016.
290 Seiten, 12,95 EUR.
ISBN-13: 9783956690532

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