Rosengarten-Variationen

Elisabeth Lienert, Sonja Kerth und Svenja Nierentz haben eine dreibändige Edition des ‚Rosengarten’ herausgegeben

Von Ralf G. PäslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf G. Päsler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der ‚Rosengarten’ gehört zur sogenannten aventiurenhaften Dietrichepik und ist somit Teil seriellen Schreibens im Mittelalter. Die aventiurenhafte Dietrichepik zeichnet sich dadurch aus, dass Dietrich von Bern, die literarische Gestalt Theoderichs des Großen, immer wieder in ungewollte Kämpfe hineingezogen wird, dann aber doch kämpft und gewinnt. Im ‚Rosengarten’ (auch ‚Wormser’ oder ‚Großer Rosengarten’) wird die Handlung mit den Geschehnissen im ‚Nibelungenlied’ verknüpft und zwar mit der Werbung Siegfrieds um Kriemhild. Zugleich aber setzt der ‚Rosengarten’ das Gesamtgeschehen des ‚Nibelungenliedes’ voraus und kann, da er jünger ist, als Kommentar eben dazu gelesen werden. Deutlich wird dies an der unterschiedlichen Zeichnung der Figuren, speziell Kriemhild, Siegfried und Dietrich. Die sich abzeichnende Deutung fällt aber durchaus unterschiedlich aus, was sich am ‚Rosengarten’ besonders deutlich zeigt und für dessen Edition das Problem schlechthin ist, denn es existieren zahlreiche Fassungen und Versionen.

Die Forschung geht von drei vollständigen Fassungen in zum Teil jeweils mehreren Versionen aus. Hinzutreten zwei fragmentarisch überlieferte Fassungen, bei denen unklar ist, ob sie nicht einer der bereits bekannten Fassungen zugeordnet werden könnten. Die Überlieferung selbst setzt mit Handschriften des beginnenden 14. Jahrhunderts ein – somit klafft eine Lücke von gut einem halben Jahrhundert zur Textentstehungen, da diese noch in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts (also noch in die Nähe des ‚Nibelungenliedes’) gesetzt wird.

Schon die Textkritik des 19. Jahrhunderts hatte sich von der Suche nach einer Originalfassung verabschieden müssen, versuchte aber zumindest sprachlich eine Rückführung auf das 13. Jahrhundert. Die nunmehr vorgelegte Edition geht einen anderen Weg: Sie versteht sich konsequent textgeschichtlich und versucht, den divergierenden Stand systematisch zu dokumentieren. Das heißt sie enthält sich weitestgehend jedes Urteils über die Textentstehung und mögliche Originalfassungen. Stattdessen werden in den drei Teilbänden die jeweiligen Hauptfassungen mit ihren Versionen dargeboten. Hier ist anzumerken, dass – obwohl es höhere Kosten verursacht – die Aufteilung in drei durchgehend paginierte Teilbände besonders glücklich ist, weil so alle Fassungen parallel gelesen und Differenzen schnell erfasst werden können. Band 1 enthält die Hauptfassung A in der Gegenüberstellung von älterer und jüngerer Version; Band 2 die Fassung DP in den Versionen D und P; Band 3 die Kurzfassung C sowie die fragmentarischen Fassungen, dazu die verschiedenen Register. Die edierten Texte werden ergänzt um einen kritischen und einen kommentierenden Apparat; letzterer enthält willkommene Hinweise zu ungewöhnlichen grammatischen Strukturen, zur Textgeschichte und anderes mehr.

Die Einleitung in Band 1 bietet zunächst ein Verzeichnis der Handschriften und -fragmente auf dem aktuellen Forschungsstand. Sodann werden die Fassungen und ihre Aufteilung auf die Handschriften vorgestellt. Sehr wichtig sind die Editionsgrundsätze: Es gilt das Leithandschriftenprinzip. Im vorliegenden Fall bedeutet dies, die Probleme, die die einzelnen Textzeugen stellen, nicht zu überspielen, sondern deutlich zu machen. So ist die aventiurenhafte Dietrichepik in der Regel strophisch abgefasst; da die ‚Rosenarten’-Strophe jedoch aus vier metrisch identischen Versen zusammengesetzt ist, kann der Text schnell auch als in paargereimten Langzeilen oder kreuzgereimten Kurzeilen verfasst erscheinen. Das wiederum vereinfacht Textänderungen: deutlich zu erkennen an unvollständigen Strophen, ohne dass Textverlust zu konstatieren wäre. Nicht nur die Makroebene der Fassungen, sondern auch die Mikroebene des Verses zeigt also, dass der Text ständiger Veränderung ausgesetzt war. Warum dies der Fall war, das zu ergründen, ist Aufgabe der weiteren Forschung, wie auch zu zeigen, in welchem Verhältnis die späteren Rosengarten-Spiele zu den strophischen Texten stehen.

Abschließend ist zu sagen, dass es sich um eine gelungene Edition handelt, die die Leistungsfähigkeit der textgeschichtlichen Methode eindrucksvoll zeigt. Sie wird die Grundlage aller weiteren ‚Rosengarten’-Forschungen sein.

Ein Beitrag aus der Mittelalter-Redaktion der Universität Marburg

Titelbild

Elisabeth Lienert / Sonja Kerth / Svenja Nierentz (Hg.): Rosengarten. Teilband I-III.
Texte und Studien zur Mittelhochdeutschen Heldenepik 8/I-III.
De Gruyter, Berlin 2015.
610 Seiten, 129,00 EUR.
ISBN-13: 9783110367867

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