Zwischen Guerilla, Paramilitär und Immobilienhai
Héctor Abad erzählt in seinem Familienroman „La Oculta“ vom Kampf um eine Finca im kolumbianischen Hochland
Von Martina Kopf
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSelten war Kolumbien der Beendigung des 50 Jahre andauernden Konflikts zwischen linker Guerilla, Militär und rechten Paramilitärs so nahe wie momentan: Ende September wird der bereits im August geschlossene Friedensvertrag zwischen der Regierung von Präsident Juan Manuel Santos und der ältesten Guerillaorganisation Lateinamerikas, der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia, kurz Farc), unterzeichnet und Anfang Oktober wird die kolumbianische Bevölkerung darüber abstimmen. Jahrelang herrschte in Kolumbien ein blutiger Konflikt, der nicht nur von Entführungen begleitet wurde, sondern hunderttausende Menschen das Leben kostete und viele vertrieb.
In einem Interview hat der zugleich als Kolumnist und Journalist tätige Autor Héctor Abad, eigentlich Héctor Abad Faciolince, einmal erklärt: „Wenn die Gewalt in dein Haus kommt, kannst du nicht einfach wegschauen.“ Tatsächlich ist auch Abads Familie Opfer dieser Gewalt geworden: Als er 1987 nach einem Studium in Italien zurückkehren wollte, musste er fliehen. Sein Vater, der bekannte Arzt und Menschenrechtler Héctor Abad Gómez, wurde in Medellín von rechten Paramilitärs umgebracht.
Dieses konfliktgeladene Kolumbien hat in Abads Roman Spuren hinterlassen, allerdings geht es in La Oculta um sehr viel mehr. Mitten in den riesigen grünen Bergen, im nordwestlich gelegenen Departamento Antioquia in der Nähe Medellíns, liegt die Finca La Oculta der Familie Ángel. La Oculta, was so viel wie ‚die Verborgene‘ heißt, ist das Zentrum der Familie und hält diese zusammen ̶ und ebenso den Roman, zu dessen Ausgangs- und Endpunkt sie wird. Von hier aus spinnt Abad drei Handlungsstränge, nämlich die drei Erzählungen der Geschwister Antonio, Eva und Pilar. Abwechselnd kommen sie in mit ihren Namen betitelten Kapiteln zu Wort und erzählen ihre eigene Geschichte, die aber immer zu La Oculta zurückführt.
Während Pilar, wie ihr Name vorwegnimmt, die Familie stützt, bereits selbst Großmutter ist und prinzipiell ein konservatives Frauenbild verkörpert, irritiert ihre Schwester Eva die Eltern mit wechselnden Beziehungen und einem unehelichen Sohn. Antonio hat Antioquia, „so streng religiös, unduldsam, rassistisch, schwulenfeindlich und stockkonservativ“, verlassen und lebt mit dem Künstler Jon als Musiker in New York, wo ihm das „intensive Licht der Tropen“ fehlt. In seiner Erzählung geht es vor allem um die Vorfahren der Familie Ángel, konvertierte Juden aus Spanien, und um die Siedlungsgeschichte Antioquias. Abad war es besonders wichtig, „dass die männliche Figur Antonio homosexuell ist, da das Thema von Land und Abstammung in Antioquia sehr machistisch verhandelt wird“ und er verhindern wollte, dass man sich mit dieser traditionell männlichen Sichtweise sein Buch zu eigen mache.
La Oculta ist also ein Familienroman aus drei Perspektiven, wobei sich jede der drei Erzählungen selbstverständlich auch als Einzelschicksal liest. Am spannendsten ist wohl Evas Geschichte: Sie erhält einen Drohbrief, in dem man die Familie dazu auffordert, die Finca zu verkaufen. Unterschrieben hat „El músico“. Dahinter vermutet Eva Drogenhändler, gewöhnliche Kriminelle, illegale Goldsucher oder Paramilitärs. Viele Gutsbesitzer und Bauern mussten ihre Höfe bereits aufgeben, weil sie entweder von der Guerilla oder von den Paramilitärs vertrieben wurden. Als Eva der Aufforderung nicht nachkommt, wird sie in der Dunkelheit auf der Finca von Unbekannten überrascht. Eva flüchtet durch den zur Finca gehörenden See und schlägt sich durch den nächtlichen Dschungel, während das Haus in Flammen aufgeht. Auf sehr eindringliche Weise schildert Abad die Ohnmacht der Familie in einem von Guerilla- und Paramilitärs regierten Land, in dem man eben nicht die Polizei rufen kann, aber auch ihre Beharrlichkeit und ihren zähen Kampf um La Oculta: Die Finca wird nach dem Brand wieder aufgebaut; und das obwohl das Gebiet von den „Músicos“ zum Ort für grausame Massaker missbraucht wurde. Drei Jungen wurden hier vergewaltigt und schließlich mit einer Motorsäge zerstückelt. Auch um eine Entführung durch die Guerilla kam die Familie nicht herum. So erfährt man in Pilars Erzählung, dass ihr Sohn Lucas mit siebzehn Jahren von Guerilleros einfach mitgenommen wurde.
Der Tod der Mutter Anita auf der Finca, mit dem der Roman auch beginnt, ändert schließlich doch alles. Zwar bleibt die Finca erhalten, doch das große Grundstück wird zum Teil verkauft. Eine geschlossene Siedlung mit Wochenendhäusern soll hier entstehen, mit Tennisplätzen, Fitnessstudio, Minigolf und einer Reithalle. Pilar und ihrem Mann Alberto bleibt nur das Haus, während um sie herum das üppige Grün riesigen Villen in allen möglichen Stilen weichen muss, „was der Bürgerkrieg und die Guerilla und die Paramilitärs nicht geschafft haben, erledigen die Geschäftemacher im Handumdrehen.“
Dieser Teilverkauf löst in gewisser Weise auch den familiären Zusammenhalt: La Oculta ist auf ein Drittel geschrumpft, gehört nun nur noch Pilar, Antonio und Eva bekommen eine Summe ausgezahlt. Mit dem allmählichen Zusammenbruch des Anwesens könnte also auch die Familie auseinanderbrechen, doch das bleibt offen. Positiv gewendet steht der Zusammenbruch der Finca auch für einen politischen Umbruch in Kolumbien. Befreit von Guerillagruppen und Paramilitärs ist das kolumbianische Hochland kein Sperrgebiet mehr, doch dafür beginnt ein neuer Kampf gegen den Immobilienhai.
La Oculta wurde bereits 2014 veröffentlicht und stand monatelang auf der kolumbianischen Bestellerliste. Unvorstellbar, dass dieser geschickt arrangierte Roman, der auf überaus spannende Weise von Kolumbien erzählt und damit das universelle Thema Familie verknüpft, nicht auch das Publikum außerhalb Kolumbiens begeistern wird.
Ein Beitrag aus der Komparatistik-Redaktion der Universität Mainz
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