Geistesheld mit Fleck

Eine ausführliche Studie zu Lichtenbergs Antijudaismus

Von Geret LuhrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Geret Luhr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Man muß das verstehen. Wie hätte Lichtenbergs Antijudaismus auch nicht irritieren sollen? Denn besitzt man einmal einen rein leuchtenden Gegenstand, dann wird jeder einzelne, dunkle Fleck das Gesamtbild ohne Frage auf sehr unangenehme Weise stören. Dabei machte vor allem die Unaufgeklärtheit und Stereotypie von Lichtenbergs Judenfeindlichkeit der Forschung zu schaffen. Wie nämlich waren die zumal im Spätwerk um sich greifenden, dümmlich gehässigen Angriffe auf die Juden und den jüdischen Glauben in das Bild des aufgeklärten Skeptikers, des Herrn des Konjunktivs und der experimentellen Empirie einzufügen? Zu diesem Zweck hat die Wissenschaft in den vergangenen 50 Jahren verschiedene Rechtfertigungsverfahren entwickelt, die Lichtenbergs Judenfeindlichkeit entweder durch vermeintliche Gegenbeispiele die Schärfe nahmen und relativierten oder sie im Vergleich mit anderen aufgeklärten Autoren der Epoche als durchaus zeittypisch und insofern nicht besonders tadelnswert hinstellten. Ein ungutes Gefühl blieb jedoch, so daß das Thema des öfteren mit wohlmeinender Geste als Forschungsdesiderat bezeichnet worden ist.

Diesem Desiderat hat sich nun Frank Schäfer in seiner Studie "Lichtenberg und das Judentum" angenommen und sich dabei auf eine gründliche Revision und mögliche Neubewertung der Quellen eingelassen. Hier ist in der Tat vor einem präzise erhellten Hintergrund, der die zeitgenössische Diskussion zur jüdischen Emanzipationsbewegung bis in die letzten Winkel ausleuchtet, ein Bild geschaffen worden, dem wohl kaum noch etwas hinzuzufügen ist. So konventionell sich Schäfers gediegene Darstellung ausnimmt, so wenig spektakulär sind jedoch auch deren Ergebnisse. Lichtenberg reiht sich bis zu einem gewissen Maß tatsächlich in den virulenten Diskurs seiner Zeit ein, wobei die Ideosynkrasie seiner Judenabneigung, wie Schäfer vermutet, durch den Einfluß des protestantischen Pfarrhausmillieus, in dem er aufwuchs, hervorgerufen worden sein mag. Lichtenbergs Ablehnung der jüdischen Religion hat dagegen nachprüfbare Ursachen. Die allerdings wurden schon von J. P. Stern formuliert: Lichtenbergs "Antisemitismus entspringt derselben Quelle wie sein Antiklerikalismus." Genauer und neu weiß Schäfer dagegen Lichtenbergs Emanzipationsfeindschaft zu deuten. Lichtenberg stelle die Normen seiner Zeit eben nur in seinen privaten Aufzeichnungen (und in seinem privaten Leben) in Frage: in Angelegenheiten der politischen Praxis, zu denen er die Judenbefreiung wie die französische Revolution zählte, war er demgegenüber schlichtweg konservativ.

Zuletzt weist dann auch Schäfer daraufhin, daß sich bei Herder, Schiller und Kant ebenfalls zahlreiche judenfeindliche Äußerungen finden. Nun also wissen wir mit Bestimmtheit, was vorher nur strategisch behauptet worden war: daß Lichtenbergs Judenfeindschaft nicht tadelnswerter ist als die anderer Autoren des 18. Jahrhunderts. Damit hat die Studie am Ende doch etwas erreicht. Wir dürfen Lichtenberg, dem selbst so oft übel mitgespielt wurde, weiterhin guten Gewissens verehren.

Titelbild

Frank Schäfer: Lichtenberg und das Judentum.
Wallstein Verlag, Göttingen 1998.
175 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3892243068
ISBN-13: 9783892443063

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