Ein Lebenskünstler mit dem Hang zum Tod
Klaus Mann zum 50sten Todestag
Von Heribert Hoven
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Er war, denke ich, immer mit vielen und keinem", so treffend charakterisiert Elias Canetti den um ein Jahr jüngeren Schriftstellerkollegen Klaus Mann, nachdem er ihn nur "ein einziges Mal" gesehen hat. Weil er viele kannte, ist Klaus Mann ein wichtiger Zeitzeuge; daß er mit keinem war, bildet die zentrale Problematik seines Werkes und seines Lebens, das er vor 50 Jahren, am 21. Mai 1949 in Cannes selbst beendete.
Der Tod des 42jährigen zur Jahrhundertmitte hat eine gewaltige Lücke hinterlassen. Das wird augenfällig in der Rückschau, der sich im Gedenkjahr eine Ausstellung in München, ein opulentes Katalogbuch sowie eine umfangreiche Biographie widmen. Denn auch in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts hätte er, anders als mancher seiner Anverwandten, durchaus etwas zu sagen gehabt. Mit Sicherheit hätte er in Adenauers Greisenrepublik und darüber hinaus noch einmal seine jugendliche Kämpfernatur gegen die Spießbürgeridylle und für eine Bürgergesellschaft entfaltet, die, wie er selbst, in der Welt zu Hause ist. Erst recht in den 60ern hat er gefehlt, als wir die Emigranten heimholten und mit den Vätern ins Gericht gingen. Als eine idealistische Jugend erneut Tabubruch und Weltrevolution auf die Tagesordnung setzte, hätte er von seinen Erfahrungen berichten können. Das Janusköpfige des Sowjetkommunismus hat er früh erkannt, vor allem, daß dieser die transzendentalen Bedürfnisse völlig vernachlässigte und einer vermeintlich "gerechten Wirtschaftsordnung" unterordnete; daß diese "nur die Voraussetzung für höheres Menschenleben - niemals sein Sinn" ist, wußte er längst. Sein Credo nannte er "sozialistischer Humanismus". Was er darunter verstand, läßt sich in seinen Romanen, Theaterstücken und Erzählungen nachlesen, aber auch in seinen Essays und Reportagen, die heute nahezu komplett vorliegen. Auf den "über 9000 Buchseiten" (Uwe Naumann), die er seinem kurzen, rastlosen Leben und vor allem seinen diversen Süchten abgerungen hat, schildert er bis zur Selbstentblößung auch die Faszination durch die Nachtseiten der Existenz. Deshalb ist sein "Mephisto" nicht nur der "Roman" des skrupellosen Karrieristen Gründgens, sondern wohl ebenso die Abrechnung mit der eigenen Geschichte. Natürlich hatte der Kalte Krieg, der auf Blockbildung und gegensätzliche Lager setzte, kein Gehör für die vielen Facetten des Menschlichen. Zwischen den "beiden antigeistigen Riesenmächten", die "keinen Raum mehr für intellektuelle Unabhängigkeit und Integrität" ließen, sah sich Klaus Mann "auf verlorenem Posten". An die Stelle der Todessehnsucht, die ihm immer vertraut und nahe war, trat die Todesverzweiflung, so daß er, der nie ein Siegertyp war, auf die Wahnsinnsidee verfiel, gegen den Riß, der durch die Welt ging und den er in gewisser Weise auch selbst verkörperte, mit dem kollektiven Selbstmord der europäischen Intellektuellen zu protestieren.
Marcel Reich-Ranicki nannte Klaus Mann einen "dreifach Geschlagenen": "Er war homosexuell. Er war süchtig. Er war der Sohn Thomas Manns." Diese Bürde, heute fast ein Klischee des Diskurses um Klaus Mann, hat jener selbst problematisiert, aber zugleich produktiv genutzt. Der Vater-Sohn-Konflikt gehört nach Uwe Naumann zu "den faszinierendsten Aspekten im Werk und in der Biographie Klaus Manns". Er ist mit Sicherheit ein deutsches Jahrhundertereignis, weit mehr als der Gegensatz zwischen Goethe und seinem blassen Sohn August. "Man beurteilt mich als den Sohn", klagt Klaus Mann und sieht darin gleichwohl die beste Werbung und die "höchste Verpflichtung". In der mit 26 Jahren geschriebenen Autobiographie "Kind dieser Zeit" hat er beinahe schon triumphierend dargelegt, wie sehr er den Vater als kreative Herausforderung, als Negativvorbild begriff; kein schlechter Lebensentwurf, meine ich: "Deshalb liebte ich es, das Katholische vor dem Protestantischen zu betonen; das Pathetische vor dem Ironischen; das Plastische vor dem Musikalischen; die ‹Vergottung des Leibes› vor der ‹Sympathie mit dem Abgrund›. Das Extravagante, das Exzentrische, anrüchige gegen das maßvoll Gehaltene; das irrational Trunkene gegen das von der Vernunft Gebändigte und Beherrschte." Außerdem entsprachen Klaus Manns ruhelose Persönlichkeitsmerkmale weit eher den rasanten zeitgeschichtlichen Veränderungen, weshalb er heute noch in vielem so gegenwärtig ist. Als jedoch die Barbaren in Deutschland immer mehr Gehör fanden, hat er die Ungewißheit als Lebensprinzip aufgegeben und, zusammen mit seiner starken Schwester Erika, eindeutig Stellung bezogen. Politisch wacher als die meisten Zeitgenossen, haben die Geschwister auch den Vater übertroffen, der lange meinte, in distanzierter Haltung zum Tagesgeschehen verharren und auf diese Weise seine Leserschaft und sein Einkommen behalten zu können. Inmitten der allgemeinen Verführung gewann der haltlose, sich nach Gemeinschaft sehnende Sohn ("Liebe nur für Barzahlung... Matrosen, Masseure, Strich", Tagebuch vom 2.7.33) einen eigenständigen moralischen Standpunkt. In dem Aufsatz "Zahnärzte und Künstler" (1934) formuliert er seine Überzeugung, daß jeder Künstler für mehr einzustehen habe "als nur für seine Geschäftsinteressen." So wurde aus dem Lebenskünstler mit dem Hang zum Tod der Exponent des Exils; der Pazifist floh zu den Fahnen der US-Army und geriet dabei ins Visier des FBI; schließlich wurde er, der seit 1940 allein in englischer Sprache schrieb, ein Heimkehrer der allerersten Stunde, nur um festzustellen: "You Can´t Go Home Again!"
Das alles und vieles mehr ist nun nachzulesen und gleichzeitig nachzuerleben. Denn in seinem Bildband zur Gedächtnisausstellung, die nach München auch in Lübeck und Zürich zu sehen sein wird, hat Uwe Naumann einen wahren Augenschmaus angerichtet, durchaus vergleichbar der vielgelobten Bild-Biographie zu "Thomas Mann" von Hans Wysling. Der ausgewiesene Kenner Uwe Naumann breitet gleichsam den Klaus Mann-Nachlaß der Münchner Literatursammlung Monancensia vor uns aus, den wir darob wie eine Ausstellung betreten. Zahlreiche bislang unveröffentliche Bilder, in deren schwarz-weißen Räumen man sich verlieren kann, dokumentieren die Mann-Dynastie und den Werdegang Klaus Manns, der wohl nicht ungern vor den Photografen agierte. Der Leser kann sich in faksimilierte Manuskripte und Briefe vertiefen oder auch in die Artikel, die Klaus Mann für Zeitschriften schrieb, darunter auch die eigenen, denen, wie etwa der "Sammlung", eine große Wirkung, aber kein finanzieller Erfolg beschieden war. Die Werke Klaus Manns werden prägnant zusammengefaßt, die Erstausgaben aller Buchtitel im Bild wiedergegeben. Zum erstenmal abgebildet sind auch einzelne Seiten aus Klaus Manns Tagebüchern, die bis 2010 für die Öffentlichkeit gesperrt bleiben, welche der Schreiber überdies an keiner Stelle im Auge hatte. Die seit 1989 in Auszügen gedruckten Tagebücher werden ebenfalls in der breit angelegten Biographie der Münchner Germanistin Nicole Schaenzler als wichtigste Quelle genutzt, dort ohne falsche Dezenz entschlüsselt sowie mit sicherem Urteil analysiert und interpretiert. Stilistisch trifft die Autorin eine anregende Mittellage zwischen Bericht und Feuilleton, womit sie ihren Platz findet zwischen Uwe Naumanns schon etwas älterer Rowohlt-Monographie und der bisher bereits auf sechs Bände ausufernden "Klaus Mann-Schriftenreihe" des Freiburger Literaturenthusiasten Fred Kroll.
"Er starb gewiß auf eigene Hand und nicht, um als Opfer der Zeit zu posieren. Aber er war es in hohem Maße", rief Thomas Mann dem verstorbenen Sohn im "Vorwort zu einem Gedächtnisbuch" nach. In beiden hier vorgestellten Arbeiten läßt sich eben dies überprüfen, weil sie den Porträtierten kenntnisreich vor den bewegten historischen Hintergrund stellen. Übersichtlich gegliedert und mit einer zuverlässigen Bibliographie sowie einem Register versehen, kann man sie ebenso als Nachschlagewerke gebrauchen. Am ehesten indes sind sie, weil man auf so viele vergessene Gesichter stößt, ein Beitrag zur Trauerarbeit. In der Lektüre jedoch kann man das Verlorene wiederfinden.