Das gefälschte Original

Louis Buss über den "Luxus des Exils"

Von Jan WesterhoffRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Westerhoff

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Natürlich, eine alte Handschrift. Das Sujet dürfte vertraut sein: Ein Antiquar findet in einem Buchrücken versteckt einen Satz alter Briefe, der ihn auf die Spur eines der letzten unentdeckten Schätze der jüngeren Literaturgeschichte setzt. Doch was so scheinbar als literarischer Krimi und intellektuelle Schatzsuche beginnt, entpuppt sich am Ende als metaphysische Spekulation. Das beginnt schon bei dem gefundenen Briefen. Offensichtlich handelt es sich um Reiseberichte eines gelangweilten englischen Aristokraten des 19. Jahrhunderts auf der obligatorischen Grand Tour. Doch Handschrift und Tonfall erwecken bei allen, die mit ihnen in Berührung kommen, den Anschein von etwas Abseitigem, Bösen, was unter der geistreich-ironischen Oberfläche verborgen ist. Und warum enthalten diese Privatbriefe ganze Passagen in einer eigentümlichen Geheimschrift?

Claude Wooldridge, Buchhändler, Antiquar und Entdecker de Briefe, plant ihre Entschlüsselung als den krönenden Abschluß seiner Karriere, scheinen sie doch auf eine letzte vorhandene Abschrift der Memoiren seines großen Idols, Lord Byron, zu verweisen. Das Original hatte Byrons Verleger nach dessen Tod verbrannt, angeblich aufgrund des moralisch bedenklichen Inhalts. Doch Wooldridge, der selber als Antiquitätenhändler stets ein sehr lockeres Verhältnis zu dem Begriff "echt" pflegt, ist sich nicht sicher, ob die Briefe Originale oder doch nur eine ausgeklügelte Fälschung sind. Seine Nachforschungen über den Autor und sein Verhältnis zu Byron beginnen in seltsamer Weise sein eigenes Leben zu tangieren.

Als es endlich gelingt, die Passagen zu entschlüsseln, erweist sich ihr Inhalt als sehr delikat und verweist auf Abgründe im Familienleben des Absenders, die auch den Selbstmord seiner Tochter zu erklären scheinen. Der Briefschreiber macht Byrons Bekanntschaft in seinem italienischen Exil, um kurz darauf unter mysteriösen Umständen zu verschwinden, angeblich ebenfalls auf der Suche nach jenem Manuskript. Je mehr Puzzlestücke Wooldridge auf diese Weise zusammenfügt, je mehr beginnt sich sein eigenes Leben aufzulösen: Das Verhältnis zu seiner Tochter zerbricht, seine Frau, die er nicht mehr liebt, beginnt ein Verhältnis mit seinem besten Freund, seine Geschäfte scheinen ohne ihn zu laufen.

Um so mehr sucht er eine letzte Selbstbestätigung in der Suche nach dem Byron-Manuskript. Doch nach wie vor ist er unsicher, ob er am Ende seines Lebens einer Illusion hinterherjagt oder ob er wirklich auf der Fährte der größten literarischen Entdeckung des Jahrhunderts ist. Auch eine Reise nach Italien kann diese Zweifel nicht ausräumen, bringt ihn aber dazu, sich wie sein Vorbild Byron selbst in ein italienisches Exil zu begeben.

Auf der Folie dieser literarischen Suche gelingt es Louis Buss in seinem ersten Roman einen Menschen zu schildern, dessen Leben buchstäblich vor seinen Augen zerfällt. Eine entsprechend melancholische Grundstimmung durchzieht das ganze Buch, das Vergleiche mit Keith Ovendens vor kurzem erschienen Roman "The Greatest Sorrow" in dieser Hinsicht nicht zu scheuen braucht. Allerdings ist es in vielen Passagen lebendiger, ja gelegentlich auch witziger geschrieben und enthält vorzügliche Figurencharakteristiken, etwa den staubtrockenen Antiquar Vernon, einen englischen Landvikar mit beinahe hellseherischer Veranlagung und, nicht zuletzt, Lord Byron selbst.

Vor allem gelingt dem Buch eine hervorragende Darstellung des Verhältnisses von Fälschung und Authentizität, von Selbsthaß und Selbstüberschätzung, von Melancholie und Einsamkeit, "dem wahren Luxus des Exils". Am Ende, wenn alle Vorhänge gefallen, alle Fälschungen entlarvt und alle Beziehungen gescheitert sind, bleibt nur noch die Leere zurück. Wooldridge begibt sich auf seine allerletzte Flucht, die Flucht in das Exil der Verzweiflung.

Titelbild

Louis Buss: Der Luxus des Exils.
Deutsche Verlags-Anstalt, Stuttgart 1999.
288 Seiten, 8,70 EUR.
ISBN-10: 3421050708
ISBN-13: 9783421050700

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