Sich auf der Spur

Nicolaus Sombart als schönes Leitmotiv betrachtet

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nicolaus Sombart hat seine Autobiographie, die seit 1984 in mehreren Teilbänden sukzessive erscheint, als Springprozession durchs eigene Leben angelegt. Der erste Band umfasste die Jahre 1933 bis 1943, der zweite die Jahre 1951 bis 1954, der nun erschienene dritte Band reicht von 1945 bis 1951 und thematisiert die Heidelberger Studienjahre. Der Autor zeigt offenbar wenig Lust, sich in seiner Selbstbespiegelung der Gegenwart zu nähern, und auch seine sonstigen Publikationen der vergangenen Jahre, das Buch über Wilhelm II. und das über Carl Schmitt, scheinen ein wenig aus der Zeit und aus dem Wind zu sein.

Der Sohn des ungleich berühmteren (und bedeutenderen) Soziologen Werner Sombart findet sein Lebensideal in einer Zeit, als sich im Deutschen Reich eine Art "Bürgeradel" konstituiert hat und durch distinkte Zeichen wie den Maßanzug und die Vorstadtvilla von den Pfahlbürgern zu unterscheiden sucht. Seine Leitfigur ist Dorian Gray, dieses "Vademecum höchsten Lebensraffinements", sein wissenschaftliches Leitbild der Heidelberger Jahre sein Doktorvater Alfred Weber, der die Nazi-Herrschaft in der Inneren Emigration überstanden hatte und bei Kriegsende von den Amerikanern eingesetzt wurde, an der Umgestaltung und Entnazifizierung der Universität mitzuwirken.

Sombart selbst gehört zu jenem Typus, der immer auf die Füße fällt, der selbst in den Notjahren der unmittelbaren Nachkriegszeit gut gelebt hat, sei es als Untermieter einer vermögenden Architektenwitwe, auf deren "kelimbedeckte[m] Diwan" auch der sexuelle Initiationsritus vollzogen wurde (freilich nicht mit der Witwe), sei es als Feldbett-Logiergast im Palais Weimar. Sombart hat, wie er selbstgefällig bekundet, ein Gespür für die ihm "angemessene soziale Position": "Ich wählte nicht - ich ließ mich wählen."

Bei der Lektüre solcher Memoiren fragt man sich, weshalb sich alte Herren die Mühe machen, ihr eigenes Leben darzustellen und in die relevanten Zeitläufte einzuordnen. Denn eine Mühsal muss es gewesen sein, immer zu fragen: Was war damals wichtig, und welche Rolle habe ich dabei gespielt? Die Antwort beginnt zumeist und zuvörderst mit einer Reinterpretation der eigenen Lebensspuren, die etwas von Adabei und Aufschneiderei, von Namedropping und Diwanhopping an sich haben, von dem Gefühl: wenn auch nur die Hälfte stimmt, so ist es doch erlogen. Aus der Perspektive des Rezipienten stellt sich die Frage, was man sich von solchen Büchern verspricht, was der ihnen angemessene Kontext ist, allzumal das Wenigste, was man hier liest, für die Goldwaage taugen dürfte.

Es sind vielfach die atmosphärischen Bilder, die stimmig wirken, einzelne Beobachtungen, die glaubhaft und plausibel erscheinen, zum Beispiel die, dass man in jener Heidelberger Zeit nie über den Genozid gesprochen habe, weder in Alfred Webers Institut, dem Insosta, das 1933 durch die "Ausmerzung artfremder Elemente" um einen Großteil seiner intellektuellen Kapazität gebracht worden war, noch im privaten Raum, den Salons und den literarischen Zirkeln, die Sombart recht eindrucksvoll zu beschreiben weiß. Wenn dann aber der Kultursoziologe Sombart seine Beobachtungen extrapoliert und etwa behauptet, es habe bis heute keine Antworten auf die Frage gegeben, was damals "in den Köpfen der deutschen Täter" vorgegangen sei, dann bewegt er sich auf sehr dünnem Eis: "Fünfzig Jahre Forschung haben uns kaum weiter gebracht", schreibt er apodiktisch und bekundet damit seine Ignoranz gegenüber den Errungenschaften der Soziologie und der Geschichtswissenschaft der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. So kann eigentlich nur jemand sprechen, der an einer Modifikation seines Geschichtsbildes nicht mehr interessiert ist, der lieber seine Animositäten pflegt als sich belehren zu lassen, der sein historisches Urteil hemmungslos überzieht, nur um eine Gegenposition zu beziehen, und der sich damit selber um seine Respektabilität betrügt. In diesem Urteil schrumpft Bismarck "auf die Proportionen eines reaktionären preußischen Junkers von lokaler Bedeutung" und sind die Repräsentanten der Frankfurter Schule verantwortlich für eine "Verunsicherung und Verwirrung der Geister", von der sich die geistige Welt bis heute nicht erholt habe.

Nicolaus Sombart weiß selbst Dinge, die irgendwo zwischen Unfug und Halbwissen anzusiedeln sind, mit großer Geste zu sagen. Das ist bewundernswert und hat zu einem hinreißenden Porträt durch Gregor von Rezzori geführt, der den Autor in seiner ungleich lesenswerteren und gewitzteren Autobiographie "Mir auf der Spur" (1997) ein wenig als Parvenü vorführt. Eine der schwierigsten Übungen der Gattung Autobiographie scheint es zu sein, ein Verhältnis zur eigenen Person zu gewinnen, das gleichermaßen von Distanz und Augenmaß charakterisiert ist und Würde hat. Ein Anflug davon ist auch bei Sombart spürbar, immerhin.

Titelbild

Nicolaus Sombart: Rendezvous mit dem Weltgeist. Heidelberger Reminiszenzen 1945-1951.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
316 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3100744225

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