Den Andalusiern beim Leben zugeschaut

Georges Hausemer beschreibt Andalusien jenseits der bekannten Touristenattraktionen

Von Dorothea StresingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dorothea Stresing

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Andalusien" - der Name der südlichsten Region Spaniens weckt Vorstellungen von der majestätischen Alhambra von Granada, die im Sonnenuntergang rot erglüht, während sich hinter ihr die schneeweißen Gipfel der Sierra Nevada erheben. Da denkt man an die Moschee von Córdoba oder an Sevilla, die elegante Stadt am Guadalquivir. Georges Hausemer dagegen führt seine Leserinnen und Leser in ein unbekanntes Andalusien, fernab von Touristenattraktionen und überfüllten Stränden. Sein Buch trägt zwar einen Titel, der ein bekanntes Andalusienbild erwarten lässt, aber "Im Land der Mauren und Olivenhaine" begegnet man mit dem Autor weniger dem spektakulären als dem alltäglichen Andalusien. Hausemer schildert Andalusiens Geschichtsträchtigkeit, ohne das Land zu verklären. Er kennt die Berichte von Reisenden der vorigen Jahrhunderte und behält sich trotzdem selbstbewusst vor, sein eigenes Bild von "Al-Andalus" zu zeichnen. Die zehn Reportagen, die das Kernstück des Buches ausmachen, erschienen zunächst in verschiedenen Zeitungen. Für die Buchausgabe wurden sie überarbeitet und um kleine Skizzen aus dem Leben eines Andalusien-Reisenden ergänzt.

Immer wieder sucht Hausemer den Kontakt zu den Andalusiern, bringt sie den Leserinnen und Lesern als Menschen nahe, die in einem Landstrich leben, in dem zahllose Kulturen der letzten zweitausend Jahre ihre Spuren hinterlassen haben. Er tut dies etwa, indem er die Fischer an der Costa de la Luz begleitet, die manchmal tagelang aufs Meer fahren, ohne einen einzigen Fisch zu fangen, weil der Wind, die Strömung oder die Gezeiten die Thunfische davon abhalten, auf ihren üblichen Routen zu schwimmen. Die Schwierigkeiten, mit denen die Fischer nach einem rasanten wirtschaftlichen Aufschwung infolge von Spaniens EU-Beitritt zu kämpfen haben, nimmt er ernst, verschweigt auch nicht die hohe Arbeitslosigkeit. Dann aber erweitert sich die Perspektive, wenn Hausemer beschreibt, wie sich die Region nach ihrer sukzessiven Eroberung durch Phönizier, Kelten, Römer, Westgoten, Mauren und schließlich durch die spanischen Christen verändert hat.

In den weiteren Reportagen berichtet er von Städten und Gegenden, die in den meisten Reiseführern kaum Erwähnung finden. So führt eine Reise nach Cádiz, in die alte Hafenstadt, die schon als "Tor zur Neuen Welt" galt, noch bevor Sevilla zu seiner großen Bedeutung gelangte. Im Kapitel über Jeréz de la Frontera führt Hausemer in die traditionelle Sherry-Herstellung ein, und aus den Berichten über die Provinzen Huelva und Jaén lernt man weitere Grundlagen der andalusischen Landwirtschaft kennen: den Erdbeeranbau und die Gewinnung von Olivenöl. Auf zwei Abstechern geht es nach Ceuta, eine spanische Stadt in Nordafrika, und in die Region Extremadura, die nordwestlich von Andalusien liegt und im allgemeinen nicht das Interesse von Spanienreisenden zu wecken vermag.

So wird mit der Lektüre des Bändchens, das sich mit seinem handlichen Format durchaus zum Mitnehmen auf die Reise eignet, der Blick geschärft für das wirtschaftliche und soziale Leben jenseits der Zentren. Wenn der Autor klischeebeladene Bilder von der andalusischen Natur allenfalls in Form von Zitaten früherer Reiseberichte zulässt, so lässt er es sich dennoch nicht nehmen, mit seinen eigenen Worten auch die Schönheit Andalusiens zu beschreiben. Persönlich gefärbt sind die kleinen Skizzen, die immer wieder die Reportagen unterbrechen. Da finden sich Szenen im Restaurant, ein Bericht über eine unerwartet "unfromme Bettlektüre" im Hotel, die Beschreibung eines "Churros"-Essens mit Freunden. In diesen Skizzen ist es weniger der analytische Blick als das Innehalten, das Wahrnehmen von kleinen Begebenheiten, von Lichteinfall, Gerüchen, Stimmungen. Manche dieser Szenen erscheinen in ihrer Alltäglichkeit beinahe banal, in anderen gelingt Hausemer eine poetische Verdichtung, die Anklänge an die Andalusische Elegie "Platero und Ich" des andalusischen Literaturnobelpreisträgers Juan Ramón Jimenez wecken. So kann es den Leserinnen und Lesern bei der Lektüre schon einmal vorkommen, als sähen sie jene Spaziergänger, die im andalusischen Winter Sonnenblumenkerne kauen mit eigenen Augen: "Sie gehen einfach dahin, beschwingte Passanten, gelassene, heitere Genießer des Augenblicks".

Titelbild

Georges Hausemer: Im Land der Mauren und Olivenhaine. Andalusische Streifzüge.
Picus Verlag, Wien 2000.
131 Seiten, 13,30 EUR.
ISBN-10: 3854527284

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