Die Heteronormalisierung der Homosexualität
Ein lesenswerter Sammelband zu Sexualität, Geschlecht und BürgerInnenrechten
Von Rolf Löchel
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseDer heute kaum noch beachteten feministischen Literaturtheoretikerin Kate Millett zufolge steht "der Koitus als Modellfall für Sexualpolitik auf intimster Basis". Mit diesem 30 Jahre alten Statement leiten die HerausgeberInnen, die sich den Namen quaestio zugelegt haben, ihr Buch "Queering Demokratie" ein. Es enthält unter anderem die Vorträge eines Berliner Kongresses im Oktober 1998 zum Thema "politische Rechte und gesellschaftliche Teilhabe" von Lesben, Schwulen und transgeschlechtlich lebenden Menschen. Mit Milletts Buch "Sexus und Herrschaft" (1974), wurde sexual politics "weltweit zum Namen für die Politik der feministischen, lesbischen und schwulen Emanzipationsbewegung", wie quaestio feststellt. Den HerausgeberInnen gelingt es, die theoretische und politische Entwicklung von Millett zum aktuellen queer-theoretischen Diskurs auf instruktive Weise zu skizzieren und die Verschränkungen von Sexualität und Macht aufzuweisen. Die wissenschaftliche Bedeutung der Kategorie queer liege insbesondere im "Zugriff auf die vernachlässigte Dimension heterosexuell begründeter und Heterosexualität begründender Herrschaft". Die praktische Bedeutung der Kategorie bestehe darin, dass sie "Widerstand gegen Regime der Normalisierung" signalisiere und ein "Zeichen des Ringens um gesellschaftliche Deutungsmuster" setze. Queer, so fasst quaestio zusammen, markiere eine "Verschiebung in der Analyse der modernen Konstruktionen von Geschlecht und Sexualität", die als "Effekte bestimmter moderner Bezeichnungs-, Regulierungs-, und Normalisierungsverfahren begriffen" werden. Geschlecht und Sexualität seien der Kultur nicht etwa vorgängig und sie somit bestimmend, sondern ihr vielmehr "gleichursprünglich".
Recht bewege sich, so Sabine Hark in ihrem lesenswerten Aufsatz über die "Paradoxien einer Politik der Rechte", "in einer Spannung zwischen universalistisch formuliertem, egalitär und inklusiv wirkendem Anspruch einerseits und hierarchisierend-exkludierender Wirkung andererseits". Auch wenn Rechte stets erkämpft sind, so betont die Berliner Soziologin, müssen sie doch auf herrschende Normen hin untersucht werden, die in sie eingegangen sind, wie etwa "Vollbeschäftigung, Kleinfamilie, Alleinernährer-Ehe, Dominanz heterosexueller Beziehungen". Genauso notwendig sei es, sie "auf die in ihnen artikulierten Strukturen sozialer Ungleichheit und politischer Desintegration" hin zu befragen. So sei etwa in der "Fokussierung" auf Anerkennung von gleichgeschlechtlichen oder queeren Paaren unterstellt, dass "unsere Vorstellungen vom guten Leben" sich mit den bereits "etablierten und normativ abgesicherten" decken. Das bedeute, so Hark treffend, die "Heteronormalisierung der Homosexualität." Lediglich Teilhabe an den bereits etablierten Rechten zu fordern, bestätige also die "Normalität institutionalisierter Heterosexualität als natürliche Kondition der Mehrheit."
Hinsichtlich dieser Analyse dürfte unter den Beitragenden ebenso Einigkeit herrschen wie darüber, dass es "in unserem Kampf [...] um viel mehr" geht, "als um das Recht, Ebenbild heterosexueller Normalität zu sein", wie Arlene Stein betont. Weniger konsensfähig dürfte hingegen David T. Evans Kritik am "postmodernen Szenario" sein, das er als "akademisches und politisches Scheingefecht" abkanzelt, da es nur "von der Zählebigkeit der ökonomischen und politischen Verhältnisse im Kapitalismus" ablenke.
Kontrovers geht es auch in der erhellenden Diskussion über die "produktiven Widersprüche zwischen fundamentaler Kritik am Recht als normativem Regime einerseits und notwendiger lesbisch-schwuler und transgender Rechtspolitik andererseits" zu, die 1999 von Nico J. Beger, Susanne Baer und Angela de Silva per E-Mail geführt wurde und den Band beschließt.
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