Für eine Kosmopolis der Toleranz
Über Richard Rortys neue Essaysammlung "Philosophie & die Zukunft"
Von Walter Zitterbarth
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn dieser Sammlung von Vorträgen und Aufsätzen aus den letzten fünf Jahren findet sich das ganze Themenspektrum, das Leser von Rortys früheren Werken wohl vertraut ist: ein Plädoyer für eine Philosophie mit kleinem p, die sich in ihren Ansprüchen bescheidet, deswegen aber noch lange nicht überflüssig ist; Gründe für die Trennung zwischen öffentlicher und privater Funktion von Philosophie; ein Verständnis von Moralphilosophie, bei dem nicht fortwährend die grosse Keule des "universellen Geltungsanspruchs" geschwungen wird und schließlich die Betonung der Wichtigkeit von sprachlichen Neubeschreibungen und Metaphern.
Im titelgebenden Aufsatz von 1995 möchte Rorty die Philosophie vor drei Versuchungen bewahren: eine Avantgarderolle in der Kultur einzunehmen, die Fachgrenzen durch rigorose Professionalisierung gar zu eng zu ziehen und dem chauvinistischen Drang nach einer nationalspezifischen Philosophie anheimzufallen. Als beste Kur dagegen erscheint ihm die Übernahme von Deweys Ansicht, Aufgabe der Philosophie sei es, Altes und Neues miteinander zu versöhnen. Demzufolge wäre die berufliche Funktion des Philosophen die eines "ehrlichen Maklers" zwischen divergierenden Kulturen, der einen bescheidenen, aber gleichwohl hilfreichen Beitrag leistet zur Herstellung einer "kosmopolitischen menschlichen Zukunft", die einen demokratischen Kern nach westlichem Vorbild besitzt, durch den die Armen und Schwachen Schutz vor den Reichen und Mächtigen genießen. In allen nichtpolitischen Fragen dagegen kann diese weltumspannende Gesellschaft so multikulturell sein, wie sie nur will. Genauer gesagt, besteht der Beitrag des Philosophen zu dieser Gesellschaft in einer sprachlichen Leistung: er muss einen Ausgleich finden zwischen der egalitären Sprache demokratischer Politik und den vielen nicht-egalitären Sprachen verschiedener kultureller Traditionen. Ob ihm hier Erfolg beschieden sein kann, bleibt abhängig von der Triftigkeit der Überzeugung Rortys, dass selbst noch die engstirnigste Kultur über Elemente verfügt, die sich zwanglos füllen lassen mit Bildern und Geschichten von einer "weltumspannenden demokratischen politischen Gemeinschaft".
Der Aufsatz "Habermas, Derrida und die Aufgaben der Philosophie" enthält eine Kritik an Habermas, die zugleich eine Einladung an ihn beinhaltet, weil sie die Differenzen geringfügiger ansetzt, als Habermas dies tut. Was Habermas unter dem Stichwort "Subjektphilosophie" verabschieden will, ist eine Tradition, die ursprünglich das Private und das Öffentliche kombinieren möchte, d. h. einerseits Aktivitäten umfasst, durch die ein Denken sich durch individuelle Neubeschreibungen von der Sprachmacht seines Vorgängers befreien möchte, andereseits aber auch solche, durch die größere soziale Gerechtigkeit herbeigeführt werden soll. Seit Nietzsche gewinnt das Interesse an "persönlicher Autonomie und Individualität" die Überhand gegenüber der sozialen Nützlichkeit. Das mag man mit Habermas bedauern, wenn man von der Philosophie ausschließlich Hilfe für die Verwirklichung demokratisch-liberaler Ziele erwartet und demgemäß in Derrida einfach einen schlechten öffentlichen Philosophen sieht. Rorty schlägt dagegen vor, in der Traditionslinie von Nietzsche zu Derrida gute private Philosophen zu sehen. Die beiden Unternehmungen wären dann komplementär. Wir müssen nicht zwischen ihnen wählen und müssen auch keiner einen epistemischen Vorrang einräumen. Habermas müsste kaum etwas von seinen grundlegenden Ansichten aufgeben, um auch für Heidegger und Foucault einen Platz zu schaffen. Statt dessen jedoch destiliert Habermas aus dieser Philosophie eine Gefahr für die demokratische Gesellschaft, indem er Derridas Vorschlag für einen gewissermaßen spielerischen - nicht unernsten - Umgang mit der Sprache zu einer handfesten metaphysischen These über das Wesen der Sprache umdeutet. Was Habermas am stärksten von der Linie des "ironistischen Theoretisierens" trennt, einem Theoretisieren, das auf seine eigene Kontingenz verweist, ist seine Suche nach einem archimedischen Punkt, die ihn misstrauisch macht gegen alles, was nach Lebensphilosophie, Romantik und sprachlicher Welterschließung aussieht. Das wirkt sich bis in den Zuschnitt der öffentlichen Philosphie aus, über deren Zielsetzung zwischen Rorty und Habermas Übereinstimmung besteht. Während Habermas hier nach einer radikalen Sozialtheorie verlangt mit "theoretischen Testverfahren für ,Ideologie' und ,verzerrte Kommunikation' ",hält Rorty eine soziale Kritik, die ohne Bezugnahme auf "Menschheitsinteressen" und eine "menschliche Natur" beständig konkrete Verletzungen und Demütigungen aufzeigt und Vorschläge für ihre Beseitigung ausarbeitet, für völlig ausreichend. Auch hier macht Rorty kein Geheimnis daraus, dass die Überzeugungskraft seiner Position von der Haltbarkeit seiner letztlich empirischen These abhängt, dass wir, "die reichen Demokratien von heute", über jenen Institutionentyp bereits verfügen, der in der Lage ist, seine eigene Reformierung in die Wege zu leiten.
Mit einer der drei oben erwähnten verhängnisvollen Versuchungen der Philosophie beschäftigt sich Rorty näher in "Analytische Philosophie und verändernde Philosophie". Es geht um die Professionalisierung und Verwissenschaftlichung des Fachs, wie sie sich vor allem im Umkreis der die USA fast vollständig beherrschenden analytischen Philosophie findet. Quintessenz ist, dass diese ihr sehnlichstes Ziel, nämlich den sicheren Gang einer Wissenschaft einzuschlagen, nicht nur faktisch nicht erreicht hat, sondern selbst gute Gründe geliefert hat für die Grablegung des Anspruchs, aus der Philosophie "liesse sich irgendeine Form von exakter Wissenschaft machen". Rorty lässt keinen Zweifel daran, dass für ihn die Philosophie zur humanistischen Kultur gehört.
In "Gerechtigkeit als erweiterte Loyalität" geht es darum, ob man den moralischen Begriff der Gerechtigkeit als etwas von der Loyalität ganz Verschiedenes behandeln soll, oder als Bezeichnung für die "weitestreichende Loyalität, die wir gegenwärtig kennen"? Für Kantianer wie Habermas stellt die zweite Alternative eine schlichte Katastrophe dar, weil Loyalität nicht der Vernunft, sondern den Empfindungen entspringt. Rorty dagegen möchte diese Möglichkeit stark machen und die Standarddichotomie zwischen Vernunft und Gefühl ersetzen durch eine kontinuierliche Skala, die das Mass an Überlappung von Überzeugungen und Wünschen zwischen verschiedenen Menschen angibt. Wenn wir so zu unserem grundlegenden moralischen Begriff den Begriff des Vertrauens machen und nicht länger den der Verpflichtung, dann können wir den Rationalismus der Aufklärung verabschieden, ohne ihren Liberalismus aufzugeben. Rorty hofft, auf diesem Wege Angehörige nicht-westlicher Gesellschaften leichter davon überzeugen zu können, dass es mit Vorteilen verbunden sein kann, uns in Fragen wie Sklaverei, Behandlung von Frauen etc. ähnlicher zu werden. Eine originelle Interpretation Spinozas als Proto-Pragmatist liefert "Spinoza, Pragmatismus und die Liebe zur Weisheit". Die seit Platon fundamentale Unterscheidung zwischen Erscheinung und Wirklichkeit wird von Spinoza unabsichtlich dadurch in Frage gestellt, dass er es zulässt, dass zwei inkommensurable Beschreibungsdimensionen (Ausdehnung und Denken) dasselbe Ding (Gott oder Natur) gleich gut beschreiben können. Damit ist ein abschüssiger Weg eröffnet, der die Beschreibung schließlich als Auskunft über ihren unbeschriebenen Gegenstand wertlos macht und zunehmend dem Gedanken Plausibilität verschafft, dass der einzige Wertmaßstab einer Beschreibung ihre Zweckdienlichkeit ist. Rorty sieht mit Spinoza daher einen Wendepunkt der Philosophie erreicht, weil mit ihm sowohl die Idee einer natürlichen Ordnung wie die Idee der Wahrheit als einer Repräsentation dieser Ordnung an Überzeugungskraft zu verlieren beginnen.
Im Festvortrag zu Gadamers hunderstem Geburtstag "Sein, das verstanden werden kann, ist Sprache", verteidigt Rorty Idealismus und Nominalismus gegen Metaphysik und Szientismus. Gadamers Satz drückt für ihn keine Entdeckung über das Wesen des Seins aus, sondern beschreibt den Prozess der Vertändnisbildung neu. Bei diesem gehe es nicht um die Tiefe des Eindringens in eine Sache, sondern um die sprachliche Breite ihrer Erfassung: über je mehr Beschreibungen wir verfügen, desto besser verstehen wir den gemeinten Gegenstand. Mit viel Selbstironie zeichnet Rorty in "Wilde Orchideen und Trotzki" schließlich seine intellektuelle Entwicklung nach. Das Buch endet mit einem Gespräch, in dem er u. a. Auskunft gibt über das Verhältnis von Philosophie und Literatur und sein politisches Engagement. In konsequenter Übereinstimmung mit seinem Philosophieverständnis, vermeidet Rorty den Eindruck, über hieb- und stichfeste Beweise nach Artdes Geometers für seine Vorlieben und Thesen zu verfügen. Stattdessen versucht er wie ein guter Anwalt die Sachverhalte, die zu seinen Gunsten sprechen, ins rechte Licht zu rücken und insgesamt so viel Plausibilität für seine Anliegen zusammenzutragen, dass auch die Gegenseite sich eingeladen fühlen soll, die Fronten zu wechseln. Argumente spielen dabei eine wichtige Rolle, doch erst für den, der schon begonnen hat, unsere Lebensform attraktiv zu finden. Um aber dahin zu kommen, sind Geschichten, Literatur und Einbildungskraft noch wichtiger als Philosophie.
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