Erinnerte Vergangenheit

Enki Bilals futuristische Auseinandersetzung mit dem Kosovo-Krieg

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nachdem Bilal mit "Äquatorkälte" seine Alexander-Nikopol-Triologie vollendet hat, wandte er sich erst einmal dem Medium Film zu. Mit "Thyko Moon" legte er seinen zweiten Spielfilm vor, der - zumindest in Frankreich - inzwischen zum Kult-Film avanciert ist.

Der 49jährige Belgrader bricht mit seinem aktuellem Werk erneut die Grenzen des Mediums Comic auf. Erzählt wird die Geschichte dreier Kriegsweisen, die 33 Jahre nach Ende des Balkan-Konfliktes wieder zusammengeführt werden sollen. Ähnlich wie schon in dem vielfach ausgezeichneten Epos "Alexander Nikopol" kreist der Comic um dieses Dreigestirn, bestehend aus einer Frau - Leyla - und zwei Männern - Amir und Nike. Letzterer zeichnet sich durch sein brillantes Gedächtnis aus und treibt die Handlung voran. Ihr gemeinsames Ziel: dem "Orden Obscurantis" Einhalt zu gebieten, der religiöse Fundamentalisten verschiedenster Glaubensrichtungen vereint und zu einem Kampf gegen die Zivilisation, gegen Kultur und Vergangenheitsbewahrung aufruft.

Dabei spielt der Autor mit der temporären Struktur des Comics: während Nike sich immer weiter zurück zu besinnen versucht, um schließlich den Tag seiner Geburt zu erinnern, entwickelt sich die Handlung kontinuierlich weiter. Der Schluss aber ist abhängig von der Erinnerungsarbeit Nikes.

Bilals spielerisches Interesse bricht jedoch nicht nur narrative Strukturen auf, sondern verpflichtet sich einer monumental-körperlichen Visualität. Ein kontinuierlicher Bildfluss, bestehend aus Handlungssequenzen und logisch aufeinander aufbauenden Panels wird abgelöst von einer Flut beinahe gemäldeartiger Großbilder, die ganze Seiten ausfüllen können. Dies alles selbstverständlich in der gewohnten couleur-directe-Farbgebung Bilals, die ihren polychromen Sog in düsteren Bildern entfaltet.

Faszinierend ist es, zu beobachten, wie der Comic, der im Imaginären und Utopischen spielt, nach Erklärungsmodellen für vergangene Realitäten sucht. Dabei setzt Bilal nicht auf einfache Ad-hoc-Modelle, sondern präsentiert eine Welt, die vielschichtig und unzusammenhängend erscheint - und dekonstruiert die von seinen Protagonisten wahrgenommenen Realitäten. Dabei bildet Bilal das Grauen des Balkan-Krieges nicht etwa ab, sondern lässt es in den Erinnerungen Nikes sprachlich präsent werden.

Auch die Handelnden sind Teil dieses Fragmentarismus: Nike zeichnet sich durch sein Gedächtnis, Leyla durch ihre Arbeit mit Hubble-Teleskopen und Amir durch seine kämpferischen Fähigkeiten aus. Eine klischeehaft-ironische Spitze stellt Dr. Warhole dar, der undurchsichtige und scheinbar omnipräsente Gegenspieler der drei. Sein Körper ist beliebig reproduzierbar und es scheint ihn nur noch wenig Menschliches auszuzeichnen. Auch Sascha, Amirs Freundin, ist geprägt von dem neuen Jahrtausend: Ihr androgyner Körper ist stellenweise bedeckt mit Narben und Zahlen, ein Bein ist künstlich. Die Grenzen zwischen Mann und Frau und zwischen Mensch und Maschine verflüchtigen sich.

Wenn sich das Ende - auch grafisch - auflöst, bleiben dem Leser nur zwei Gewissheiten: zum einen wird er die beiden geplanten Folgebände lesen wollen, zum anderen beschleicht ihn die Schlussfolgerung: Die Erde hat sich weiterentwickelt, der Wahnsinn aber ist der gleiche geblieben -zumindest in der phantastischen Welt des Enki Bilal.

Titelbild

Enki Bilal: Der Schlaf des Monsters.
Ehapa Verlag, Leinfelden-Echterdingen 1998.
69 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-10: 3770408926

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