Born to be Wilde
Noch eine Biografie über den größten aller Dandys
Von Ulla Biernat
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseAus Anlass des 100. Todestages von Oscar (auch Oscár, Ossie, Hosky, Oscarino, Grey Cow, Sodomit) Wilde am 30. November sollte sein komisches und filigranes Werk im Mittelpunkt stehen. Stattdessen wird Wildes wildes Leben und hässliches Leiden in immer neuen Biografien breitgewalzt, oft ohne frische publikationswürdige Fakten. Ein Beispiel dafür ist Barbara Belfords opulentes Werk "Oscar Wilde. Ein paradoxes Genie". Einzig mit der geschwinden Übersetzerin Susanne Luber hat der Haffmans Verlag einen guten Griff getan.
Die flott geschriebene Biografie selbst präsentiert ein Kaleidoskop von Ereignissen, Personen und Details, und man muss Belford für ihren Forschungseifer loben, auch wenn sie dem Einzelbefund den Vorzug gibt vor der Analyse und Synthese. So gerät sie immer wieder auf ausgetretene Pfade. Den Grund dafür liefert sie selbst in der Einleitung; die Crux des ganzen Unterfangens sei, dass Wildes Leben "bereits vielfach beschrieben worden" sei: "Ein Wust von Anekdoten überlagert die tatsächlichen Fakten. Der erste, der sein Leben hinter Mythen und Fiktionen verborgen hat, war Wilde selbst. Wozu also noch ein Buch über ihn? Die Antwort lautet: Weil sein Leben ein fortgesetztes Lehrstück ist und weil seine Ansichten über Gesellschaft, Politik und Kunst, mit denen er die Viktorianer direkt ins Herz traf, heute nicht weniger bedrohlich sind. Und weil seine obsessive Liebe zu Lord Alfred Douglas eine der ganz großen Liebesgeschichten des 19. Jahrhunderts ist."
Das ist richtig. Aber warum räumt die Biografin diesem ungestümen und bizarren Verhältnis so wenig Platz ein? Lord Alfred - von Wilde liebevoll ,Bosie' genannt - bleibt eine schemenhafte Gestalt, deren Identität sich im Etikett ,schwul' zu erschöpfen scheint. Doch Bosie war Wildes Muse und die wohl wichtigste Person in seinem Leben - schon allein deshalb muss man eine genauen und ausführlichen Blick auf den adeligen Jüngling werfen; selbst wenn der sich als oberflächlicher, verantwortungsloser und verwöhnter Bengel entpuppt.
Einige Biografen vor Barbara Belford meinten gerade in diesem Missverhältnis von unermesslicher Liebe und unwürdigem Objekt die Tragik in Wildes Leben zu erkennen. Belfords Ziel ist es dagegen, "den Mythos des tragischen Oscar Wilde" zu widerlegen. Doch im letzten Kapitel, "Versöhnung", häuft die Autorin soviel Material gegen ihre eigene These an, dass es verblüfft, wie sie überhaupt auf die Idee gekommen ist, "eine freundlichere Geschichte zu erzählen". Wildes Strafe bestand aus Hunger, Schlafentzug, Krankheit - Hässlichkeit sprang ihn, den Ästheten und Liebhaber alles Schönen, jeden Tag während seiner zwei Jahre im Gefängnis an. Sein ruheloses Leben im französischen und italienischen Exil war geprägt von Armut und Selbsterniedrigung. Die Trennung von seiner Frau und seinen Söhnen ertrug er kaum, obwohl er Bosie bald wieder über seine Familie stellte. Einem Freund schrieb er: "Jawohl: Ich habe Bosie wiedergesehen, und ich liebe ihn, so wie ich ihn immer geliebt habe, mit einem leichten Beigeschmack von Tragödie und Ruin." Für eine kurze Zeit waren beide wieder zusammen. "Als Wilde das Geld ausging, reiste Bosie ab."
Die Stärke von Belfords Ansatz kommt während eines anderen Zeitabschnittes zum Tragen: Sie beschreibt ausführlich und lebendig Wildes Kindheit und die Einflüsse seines irischen Elternhauses. Oscars Mutter, die formidable Lady "Speranza" Wilde, springt dem Leser förmlich vom Blatt entgegen, mit ihren literarischen Ambitionen, ihrer Salon-Attitüde und ihren Kleidern, die aussahen, "als wären sie in einem Anfall von Raserei entworfen und in einem Sturm angelegt worden". Wildes sagenumwobene Konversationskunst geht auf seine Mutter zurück, deren schlagfertige Ungehörigkeiten er zuerst kopierte und bald übertraf. Als ihr einmal auf einer Party eine junge Frau als ,halb englisch, halb irisch' vorgestellt wurde, sagte sie: "Es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, meine Liebe. Ihre englische Hälfte ist mir genauso willkommen wie Ihre irische Kehrseite."
Die streckenweise anregende Biografie erreicht ihr Ziele zwar nur teilweise, geht aber großzügig auf Wildes literarisches Werk ein. Letztlich wird man damit Wilde eher gerecht als durch die Anhäufung biographischer Feinsinnigkeiten - auch wenn das der Meister des Paradoxes anders gesehen hat: "Wissen Sie, was das größte Drama meines Lebens ist? Dass ich mein Genie in mein Leben gelegt habe, und in meine Werke nur mein Talent." Manchmal muss man sich eben bescheiden.