"Wo steht geschrieben, daß Aufklärung emotionslos zu sein hat?"

Über den Tagungsband "Frauen erinnern" der Arbeitsgruppe "Frauen und Exil"

Von Constanze JaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Constanze Jaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch die 1991 gegründete Arbeitsgruppe "Frauen im Exil" der Gesellschaft für Exilforschung widmete sich auf ihrer 9. Tagung "Frauen erinnern", veranstaltet in Zusammenarbeit mit der Alice-Salomon-Fachhochschule 1999 in Berlin, systematisch dem Thema Erinnern an Widerstand, Verfolgung und Exil. Das mag auf den ersten Blick nicht gerade spannend anmuten angesichts der Flut von Publikationen zu den Themen "Erinnern und Gedenken" und "Nationalsozialismus und Shoah". Bemerkenswert ist jedoch ihr Zugang, dem gleich zwei Besonderheiten zugrunde liegen, die sich beide auch im Aufbau des Sammelbandes und in den Beiträgen widerspiegeln:

Erstens wird explizit die nach wie vor gerne übergangene Frage nach geschlechtsspezifischen Unterschieden der verbalisierten Erinnerung gestellt, was eine (selbst-)kritische Reflexion des eigenen Erkenntnisinteresses und der Forschungsmethoden mit einschließt. Es geht den Veranstalterinnen der Tagung respektive den Herausgeberinnen des Tagungsbandes darum, die Kategorie gender "als Strukturmerkmal von Deskription, Analyse und Interpretation in den Untersuchungen" zu begreifen und nach "geschlechtsspezifischen Differenzen beim Erinnern, Verdrängen, Vergessen und Gedenken" zu fragen. Besonders Hiltrud Häntzschel bietet in ihrem Beitrag ein systematisches Nachdenken über Implikationen, Chancen und Grenzen von Fragen nach geschlechtsspezifischen Modi des Erinnerns und Gedenkens.

Zweitens wird bewusst die häufig vertretene Trennung der Themen Widerstand, Verfolgung und Exil aufgehoben zugunsten einer übergreifenden, interdisziplinären Betrachtung. Beide Anliegen zielen auf ein Verständnis von Erinnerung und Erinnerungskultur, das der ursprünglichen Bedeutung dieses inflationär gebrauchten Wortes gerecht zu werden versucht, und zwar, so Inge Hansen-Schaberg in ihrer Einführung, im Sinne der mittelhochdeutschen Bedeutung "machen, daß jemand einer Sache inne wird" oder der neuhochdeutschen "sich ins Gedächtnis rufen" bis hin zu "aufmerksam machen" und "mahnen". Diese Herangehensweise spiegelt sich darin wider, dass von den 19 Beiträgen fünf aus der Feder von Augenzeuginnen stammen (Hanna Papanek, Bea Green, Hanna Blitzer, Susanne Berglind, Inge Deutschkron), die über ihren Umgang mit Verfolgung und Exil berichten und damit als beforschte Subjekte und/oder (wie Hanna Papanek) als selbst forschende Subjekte in Erscheinung treten.

Bei dieser Vergegenwärtigung des Geschehenen und Erfahrenen handelt es sich letztlich immer um einen dialogischen Prozess, an dem die Augenzeuginnen und Augenzeugen wie auch die (potentiell) Hörenden verantwortlich beteiligt sind, um das Zeugnis eines unbegreiflichen Grauens überhaupt erst zu konstituieren. Daraus ergibt sich für die so genannte Holocaust- wie für die Exil-Forschung die Notwendigkeit, sich auf einen Prozess einzulassen, der ein hohes Maß an Sensibilität und Selbstreflexion auf Seiten der nach Aufklärung und Verstehen Verlangenden erfordert. Hierauf gehen die Beiträge von Ute Benz "zur Psychodynamik des Umgangs mit traumatisierenden Erfahrungen" und besonders der von Marianne Kröger zu den "Dispositionen des Zuhörens - Reflexionen zum Umgang mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen" ein.

Dabei ist der Umgang mit literarischen und/oder mündlichen Zeugnissen nicht einfach ein individueller Prozess zwischen Forschenden und Beforschten, zwischen Interviewten und Interviewern. Vielmehr zeigen die verschiedenen Beiträge, auf welche Weise die "Szenen des Erinnerns" (so Ute Benz) geprägt sind von und entsprechend verknüpft werden müssen mit familien- und generationenübergreifenden Mustern des Erinnerns und Schweigens über NS und Shoah sowie mit den jeweiligen historischen Kontexten und politischen Konstellationen in den beiden deutschen Staaten, deren Gründungsmythen und Formen des Erinnerns und Gedenkens ganz offensichtlich in wechselseitigen Abhängigkeiten geformt und gepflegt wurden.

So stellt Adriane Feustel ihre Forschungsergebnisse über "Alice Salomon" (1872 - 1948) vor, ehemals Schulleiterin der von ihr gegründeten "Sozialen Frauenschule" in Berlin, die aufgrund ihrer jüdischen Herkunft bereits 1933 von den deutschen Nationalsozialisten ihrer zahlreichen öffentlichen Ämter und ihrer Publikationsmöglichkeiten beraubt und von der Gestapo 1937 ins Exil gezwungen wurde. Deutlich wird am Einzelfall, wieviel sich häufig erst auf den zweiten und dritten Blick erschließt, und so ist weniger die kaum überraschende Tatsache interessant, dass Alice Salomon keineswegs als eine bis heute Perspektiven weisende Wissenschaftskapazität erinnert wurde, sondern vielmehr, in welcher Art und Weise und zu welchem (eigennützigen) Zwecke im aktiven Erinnerungsprozess in den 40er, 50er und 80er Jahren zentrale Aspekte der Persönlichkeit Alice Salomons gleichsam "weg-erinnert" wurden.

Weitere Einzelstudien, die überzeugend in einen historisch-politischen Kontext gestellt werden, beschäftigen sich mit Gedichten von Ilse Blumenthal-Weiss (Silvia Schlenstedt) und mit dem "Prozeß des Erinnerns bei Barbara Honigmann", Vertreterin der sogenannten jungen jüdischen Gegenwartsliteratur (Ariane Huml).

Nach einer Rückschau auf die "kurze Geschichte der Frauenexilforschung" (Beate Schmeichel-Falkenberg), einem kleinen programmatischen Einschub von Wolfgang Benz, der die Begriffe Erinnerung und Forschung, Emotionalisierung und Aufklärung in ein Verhältnis zueinander setzt, folgt ein Artikel von Christine Labonté-Roset, der sich dem "Beitrag der Alice-Salomon-Hochschule, Berlin, zur Aufarbeitung der NS-Geschichte" widmet und so die inhaltliche Programmatik von Tagung und Buch im konkreten Sinne des Wortes ver-ortet. Gabriele Knapp gibt einen Überblick über die "Psychodynamik des Schweigens im öffentlichen Raum und in der Familie" und die "Auswirkung bezüglich des Umgangs mit NS-Vergangenheit" in der BRD. Birgit Rommelspacher stellt einige zentrale Ergebnisse ihrer Interviewforschung mit jungen deutschen Frauen vor, deren Familien nicht zu den Verfolgten, sondern zu den "ganz normalen" deutschen Familien zählten.

Simone Barck beschreibt in ihrem Beitrag, der, wie ich finde, aus den sonst eher den Diskussionsstand zusammenfassenden Beiträgen des vierten Kapitels zur "NS-Geschichte im individuellen und kollektiven Gedächtnis" herausragt, vor allem die 50er und 60er Jahre in ihren "historischen Verlaufsformen und Deutungsmuster[n]" in Bezug auf die Widerstandsthematik. Sie vermag darin in sehr überzeugender Weise aufzuzeigen, wie die oft vorschnell gebrauchte Formel des "staatlich verordneten Antifaschismus" real durchaus vielfältige Formen und Versuche der historiographischen Darstellungen und anderer Vermittlungsarten überdeckt und so eine Statik suggeriert, wo in Wirklichkeit Entwicklungen, Anpassungen und Besonderheiten in den Ausprägungen herauszuarbeiten wären.

Juliane Wetzel verbleibt dagegen in ihrem parallel dazu gedachten Beitrag "Zur Widerstandsrezeption in der BRD bis 1989" in einer eher grobflächigen Betrachtung der spezifischen Ausprägungen einer ebenfalls im politischen Interesse erfolgten Definition von Widerstand in der alten BRD.

Abgesehen von einzelnen Schwächen - darunter zum Beispiel solche Beitragstitel wie "Vom selektiven Umgang mit Erinnerungen", "Vom Wiedererleben des Erlebten", "Zur Psychodynamik", "Zur Erinnerungskultur", die sprachlich nicht überzeugen -, zeigt der Band in der Art und Weise, wie Forschung betrieben und öffentlich gemacht wird, einen scharfsinnigen und beherzten Umgang gerade auch mit Emotionen, von denen jede Aufklärung über Exil und Shoah begleitet sein dürfte und müsste. Die geschlechtsspezifischen Modi des Erinnerns und Gedenkens sind allerdings am ehesten in jenen Beiträgen überzeugend behandelt, in denen der Einzelfall fokussiert wird. Zusammen mit den eher Erinnerungsdiskurse zusammenfassenden Beiträgen entsteht am Ende durchaus eine Netzstruktur, bei der der Rahmen umrissen wird, aber auch vertiefende Einblicke stattfinden. So stellt das Buch eine Bereicherung für all diejenigen dar, die Wege des wissenschaftlichen und dialogischen Umgangs mit der einschlägigen Thematik suchen.

Titelbild

Inge Hansen-Schaberg / Beate Schmeichel-Falkenberg: Frauen erinnern. Widerstand - Verfolgung - Exil.
Weidler Buchverlag, Berlin 2000.
248 Seiten, 25,10 EUR.
ISBN-10: 3896931512

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