Freiheit, Gleichheit, Feminismus

Herlinde Pauer-Studers politische Philosophie

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit ihrem Buch "Autonom leben" hat die Wiener Philosophin Herlinde Pauer-Studer eine kluge und differenzierte Untersuchung zur politischen Philosophie des Verhältnisses und des Begründungszusammenhanges der beiden "demokratischen Grundwerte" Freiheit und Gleichheit vorgelegt. Anliegen ihres Buches ist es, "Freiheit und Autonomie als vorrangige Werte der politischen Philosophie" zu verteidigen. Eingangs erläutert Pauer-Studer, was "autonom sein" und "Autonomie" ihrem Verständnis nach bedeuten. Ersteres, so die Autorin, heiße eine "reflexiv-kritische Haltung zu unseren spontanen individuellen Wünschen und Begehren einzunehmen". Autonomie bedeute also demgemäß, "eine prüfende Einstellung zu uns selbst und unserem unmittelbaren Wollen". In ihr konkretisiere sich die Freiheit des Menschen als Möglichkeit, die "individuell gewählte Konzeption des guten Lebens zu verfolgen". Gleichheit hingegen meint, dass unterschiedslos alle Menschen das Recht haben, "in ihrer Würde respektiert zu werden". Kurz: Gleichheit bedeute nicht Gleichsein.

Was nun Freiheit und distributive Gleichheit betrifft, so gebühre Ersterer zum einen das politische Primat in dem Sinne, dass sie ein "Wert an sich" sei und distributive Gleichheit in einer "instrumentellen Relation" zu ihr stehe. Kurz gesagt: "Distributive Gleichheit ist ein Mittel, um Freiheit herzustellen." Darüber hinaus hat sie allerdings auch begründungstheoretischen Vorrang, denn "vom Begriff der distributiven Gleichheit her" sei es nicht möglich, zum Begriff der Freiheit zu gelangen. Umgekehrt müsse Freiheit zunächst "als Wert gesetzt werden, damit der Begriff 'gleiche Freiheit' überhaupt Sinn" mache. Daher müsse Freiheit als Wert unabhängig von Gleichheit begründbar sein und zu dem distributiver Gleichheit führen. Werde nämlich Freiheit als Grundwert gesetzt, komme allen Personen "Freiheit qua Personsein" zu. Freiheit als Grundwert führe also notwendig zum Ideal gleicher Freiheit. Beide, Freiheit und distributive Gleichheit, so Pauer-Studer weiter, seien in einer "konditionalen Relation" an das "übergeordnete Prinzip der Anerkennung" gebunden. Im "moralischen Status der Anerkennung" liege der Grund, warum Freiheit überhaupt einen Wert darstelle.

Jemanden anzuerkennen impliziere, ihm nicht nur Freiheit, sondern auch die für die Möglichkeit der Freiheit "unabdingbaren Rechte und ökonomischen Mittel" zu gewähren. Nun könnte es scheinen, der "Grundsatz universeller Achtung und Anerkennung" sei als Gleichheitsprinzip zu verstehen und somit selbst wieder an den Wert der Gleichheit zurückgebunden. Doch dem widerspricht Pauer-Studer, da für die Begründung, dass jemandem Anerkennung zustehe, nur die "singuläre Tatsache" seines "Menschseins" relevant sei, "relationale Erwägungen" dagegen nicht. "Universelle Achtung und Anerkennung" sei also nicht nur ein "Wert an sich", sondern zudem ein "intrinsischer Wert". Aus seinem Begriff ließen sich sämtliche Voraussetzungen eines guten Lebens erschließen.

Im letzten Kapitel ihrer Arbeit widmet sich Pauer-Studer der Bedeutung, die sie ihren Erörterungen für die feministische Philosophie beimisst. Zunächst kritisiert sie, dass der Begriff der Freiheit von der feministischen Philosophie vernachlässigt werde - dabei solle doch die Freiheit von Frauen das erste Ziel feministischer Politik sein. Die Gründe feministischer Geringschätzung der Freiheit als "Verfolgung der eigenen Konzeption des guten Lebens" liegen Pauer-Studer zufolge darin, dass das "männliche Ideal von Selbstbestimmung und Autonomie" für Frauen, die oft in "enge Netzwerke zwischenmenschlicher Verantwortlichkeit" eingebunden seien, nicht im selben Maße verbindlich sein könne. Hierin ist sie mit feministischen Autonomiekritikerinnen einig. Allerdings stelle dieser Befund nicht die Sinnhaftigkeit der Standards von Gleichheit und Freiheit in Frage, sondern zeige nur die "Notwendigkeit, diese Konzepte frei von allen geschlechtsspezifischen Einseitigkeiten zu formulieren". Zudem sei es normativ unangemessen, wenn sich die politische Theorie des Feminismus die Werte der Gemeinschaften unhinterfragt zu Eigen mache, in die die Subjekte eingebunden sind, als handele es sich um "unveränderliche identitätsstiftende Parameter". Stattdessen gelte es vielmehr zu erreichen, dass Personen ihre Bindungen und ihr Verhalten "gegenüber vorgegebenen Werthaltungen kritisch distanziert" zu betrachten vermögen. Da sich das Prinzip der Autonomie in der Idee konkretisiere, dass Personen "sich frei für jene Bindungen entscheiden sollten, aus denen besondere Verantwortlichkeiten erwachsen", sollte es für den Feminismus "normativ grundlegend" sein. Wenn die traditionelle "Trennung von 'öffentlich und privat'" und die mit ihr einhergehende Geschlechterhierarchie aufgegeben werde, könne die Autonomie der Individuen zu einem "unhintergehbaren Standart" feministischer Theorie werden, da das Prinzip der Autonomie nun von seinem "traditionellen geschlechtsspezifischen Bedeutungsaspekt gelöst" sei. Im Grunde verberge sich hinter der "radikalen Relativierung von festen Geschlechtsidentitäten" sogar gerade das von der Autorin propagierte Autonomieideal, da es verlange, alle "Geschlechterstereotype" zu überwinden.

Differenz hat Konjunktur, und die Differenzen in der Geschlechterdifferenz innerhalb feministischer Kreise allemal. Daher tut Pauer-Studer gut daran, Einwände, die von einigen feministischen Positionen gegen ihr Gleichheitskonzept erhoben werden könnten, zu entkräften. Die Alternative 'Gleichheit' oder 'Differenz', so betont sie, könne nicht zu der angestrebten "Geschlechtergerechtigkeit" führen. Es gelte vielmehr, beide auf bestimmte Weise zusammenzudenken. So lasse "Gleichsein in Bezug auf moralisch bedeutsame Eigenschaften", wie etwa die des Menschseins, hinreichend Raum für Differenzen. Die "zentrale normative Frage" laute daher nicht, ob Männer und Frauen gleich oder different sind, "sondern ob Frauen die gleiche Freiheit wie Männer genießen, ihr Leben frei zu wählen". Das klingt überzeugend. Allerdings stört, dass Männer, beziehungsweise deren Freiheit zum Maßstab der Freiheit von Frauen gemacht zu werden scheinen. Das würde bei einer Forderung vermieden, dergemäß beide Geschlechter gleichermaßen die von Pauer-Studer benannte Freiheit genießen. Stattdessen konkretisiert die Autorin ihre Auffassung dahin gehend, dass Freiheit dann bestehe, wenn Frauen wählen können, ob sie ein Leben führen wollen, das demjenigen "von Männern in vergleichbaren, sozialen Kontexten ähnelt", oder eines, "das von 'männlichen Normalbiographien' abweicht". Hiermit fällt Pauer-Studer hinter ihren zuvor dargelegten Freiheitsbegriff zurück. Denn dieses Verständnis 'weiblicher' Freiheit hält dem von ihr propagierten Autonomiekonzept nicht stand, definierten sich doch die Wahlmöglichkeiten der Frauen über vorgegebene 'männliche' Lebenskonzeptionen. Die ganze Freiheit, und das betont die Autorin nicht hinreichend, wäre erst dann gegeben, wenn sich die Wahlmöglichkeiten aller nicht über die 'männliche Normalbiographie' bestimmten, sondern wenn es keine geschlechterspezifischen Normalbiographien mehr gäbe.

Titelbild

Herlinde Pauer-Studer: Autonom leben. Reflexionen über Freiheit und Gleichheit.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
292 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3518290967

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch