Wo bleibt das Fernsehen?

Jürgen Wilkes unfertige "Medien- und Kommunikationsgeschichte"

Von Ulla BiernatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulla Biernat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"The medium is the message." Seit Marshall McLuhans griffiger und viel zitierter Formel von 1968, mit der er die Aufmerksamkeit auf die Vermittlungsformen menschlicher Kommunikation lenkte, ist der Begriff 'Medium' immer wieder Gegenstand unterschiedlicher Definitionsversuche gewesen. Der Publizistikprofessor Jürgen Wilke schließt sich in der sympathisch kurzen Einleitung seiner ausführlichen "Medien- und Kommunikationsgeschichte" dem wissenschaftlichen Minimalverständnis an: "Unter 'Medien' im engeren Sinne [sind] jene technischen Mittel zu verstehen, die zur Verbreitung von Aussagen an ein potentiell unbegrenztes Publikum geeignet sind (also Presse, Hörfunk, Film, Fernsehen). Der Medienbegriff hat damit vor allem einen technischen Aspekt. Aber nicht nur die Technik selbst wird mit ihm bezeichnet, sondern auch die Produkte dieser Technik und die jeweiligen Institutionen, die mit der Produktion und Verbreitung solcher Aussagen beschäftigt sind."

Diesen technisch-institutionellen Medienbegriff ordnet der Autor dem Kommunikationsbegriff vor, den er auf die Humankommunikation einschränkt, die mittels Massenmedien erfolgt. Auf diese Weise kann er seine Darstellung der Mediengeschichte zeitlich eingrenzen: "Sie setzt mit der Erfindung des Drucks mit beweglichen Lettern durch Johannes Gutenberg Mitte des 15. Jahrhunderts ein und erstreckt sich inzwischen über mehr als fünf Jahrhunderte." Aus dieser losen begrifflichen und zeitlichen Eingrenzung folgt eine sachliche: der thematische Schwerpunkt liegt auf der Entstehung und Entwicklung der Massenmedien in Deutschland vom 16. bis zum 20. Jahrhundert. Von den frühen publizistischen Erzeugnissen wie Einblattdrucken, Flugschriften und Messrelationen über die ersten Wochenzeitungen Anfang des 17. Jahrhunderts, die im folgenden Jahrhundert verstärkt einsetzende Diskussion über die Pressefreiheit bis zur "Entfesselung der Massenkommunikation" im 19. Jahrhundert gibt Wilke einen pointierten Abriss kommunikationswissenschaftlicher Forschungsergebnisse auf diesen Gebieten.

Einleuchtend ist, dass Wilke darüber hinaus einen Blick zurück auf die Formen öffentlicher Kommunikation in der Antike und im Mittelalter wirft, um Voraussetzungen und Diskontinuität der folgenden medientechnischen Revolution zu verdeutlichen. Warum er allerdings seine Darstellung Mitte der 20er Jahre abbricht, kann er auch auf den abschließenden mageren zwei Seiten, die er bescheiden als "Ausblick" bezeichnet, nicht schlüssig erklären. Seine Begründung: "Wir stehen damit an der Grenze von einer eigentlich historischen zu einer zeitgeschichtlichen Betrachtungsweise." Das ist zwar richtig, doch sind Aussagen z. B. über die Instrumentalisierung des Radios im Dritten Reich in jeder Mediengeschichte nötig und auch möglich. Mit einem Verweis auf die "breite Forschungsliteratur" über die drastischen ideologischen Eingriffe in die massenmedialen Strukturen durch die Nationalsozialisten ist es nicht getan. Auch fallen so die Entstehung und rasante Entwicklung des Fernsehens, ohne das die heutige Medienlandschaft nicht mehr denkbar wäre, weg. Zwar ist die deutsche Medienentwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg naturgemäß noch nicht vollständig aufgearbeitet und somit erscheint eine abschließende Bewertung kaum sinnvoll; es ist aber genug Forschungsliteratur vorhanden, um Entwicklungstendenzen in der DDR und der BRD, den Beginn des privaten Rundfunks und des dualen Rundfunksystems in den 80er Jahren sowie Grundzüge der bunten Multimediawelt zu skizzieren. Über dieses Manko von Wilkes ansonsten fundierter Medien- und Kommunikationsgeschichte trösten auch die umfangreichen weiterführenden Literaturhinweise nicht hinweg.

Titelbild

Jürgen Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert.
Böhlau Verlag, Köln 2000.
436 Seiten, 27,60 EUR.
ISBN-10: 3412073008

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