Das Alter als Abenteuer

Leonie Ossowskis Roman "Die Gegenwart"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Rückwärts zu schauen und zu bedauern, was man alles nicht mehr kann, nützt nicht viel", bekannte Leonie Ossowski kürzlich in einem Interview. Nach dieser Devise denkt, lebt und handelt auch - nach diversen persönlichen Rückschlägen - die Protagonistin Nele Ungureit im neuen Roman "Die schöne Gegenwart."

Über Nacht hat sich ihr Leben verändert: Der Wunsch, mit dem Ehemann, der ein gut florierendes Möbelgeschäft betreibt, alt zu werden, wird durch eine jüngere Frau jäh zerstört. Doch die Protagonistin verfällt keineswegs in Melancholie, sondern sucht sich selbst eine neue Lebensaufgabe als Betreuerin in einem Altersheim. Leonie Ossowski hat selbst vor der Niederschrift dieses Romans viele Tage in Senioreneinrichtungen zugebracht. Dies merkt man der detailgenauen Schilderung an. Zusätzliche Nähe schafft die 75-jährige Autorin durch die bewusst gewählte Ich-Erzählform.

"In diesem Buch versuche ich, ein anderes Bild vom Älterwerden zu vermitteln", hat sich Leonie Ossowski vorgenommen. Glückliche Zufälle helfen dabei ihrer Protagonistin auf die Sprünge. Zunächst lernt sie Rupert Neumann kennen, der seine Schwester in einem Seniorenheim besucht, und dann erbt sie von ihrem Onkel eine teure Stadtvilla. Mit ihrem neuen Bekannten will die 69-jährige Nele einen zunächst verwegen erscheinenden Plan verwirklichen: die Schaffung einer Wohngemeinschaft für Senioren. Wie schon in ihrem 1994 erschienenen Roman "Die Maklerin" hat Leonie Ossowski wieder eine weibliche Hauptfigur entworfen, die aus dem Alltagstrott ausschert und ihren eigenen Weg sucht.

Doch Nele stößt in ihrer eigenen Familie auf wenig Gegenliebe, denn Sohn Hannes will ihr die Erbschaft abspenstig machen. "Ob er vielleicht glaube, ich sei nicht mehr zurechnungsfähig, fauchte ich und erschrak über meinen Ton." So geht es in diesem Roman nicht nur um die Probleme der älteren Generation, sondern vor allem auch um deren oft gebrochenes Verhältnis zu den Kindern. Die Alten werden finanziell geradezu ausgeplündert und dann abgeschoben in irgendwelche Heime. Leonie Ossowski versucht der älteren Generation neues Selbstbewusstsein zu verleihen, ihnen die Möglichkeiten eines lebenswerten, alternativen Lebensabends aufzuzeigen. "Man kann das Alter als Abenteuer sehen. Das ist eine neue Perspektive, der man viel abgewinnen kann", heißt es im Roman. Neles Senioren-WG in der geerbten Villa bringt Vitalität und Frohsinn, Freiheit und Unabhängigkeit zum Ausdruck.

Dass die Realität für das Gros der älteren Bürger heute anders aussieht, stört bei der Lektüre keineswegs, denn Leonie Ossowski ging es darum, Mut zu machen, Alternativen aufzuzeigen und gegen die Alterslethargie anzuschreiben. All dies ist ihr in "Die schöne Gegenwart" vortrefflich gelungen. Ein Roman, dem man auch viele junge Leser wünscht.

Titelbild

Leonie Ossowski: Die schöne Gegenwart. Roman.
Piper Verlag, München 2001.
368 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3492042384

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