Mehr Klassik als Postmoderne

Reclams dritte Auflage der "Texte zur Theorie des Films"

Von Melanie WitteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Melanie Witte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Was ist Film?" So lautet die zentrale Frage der Filmtheorie. Reclams der Sprache und Bedeutung des Films gewidmeter Sammelband präsentiert vorwiegend russische und deutsche Vertreter der klassischen Filmtheorie der zwanziger bis fünfziger Jahre. Kennzeichnend für diese frühe Phase der Theoriebildung ist der normativ-systematische und unempirisch-intuitive Zugang zur genannten Fragestellung. Neben den theoretisierenden Filmemachern Dziga Vertov, Sergej M. Eisenstein und Wsewolod I. Pudowkin finden sich weitere Repräsentanten des russischen Formalismus, außerdem Rudolf Arnheim und Béla Balázs, beide Parteigänger für den Film als Kunst, sowie Siegfried Kracauer und André Bazin als Fürsprecher des filmischen Realismus. Es folgen drei Beispiele analytisch-empirischer Ansätze der Filmsemiotik aus den sechziger Jahren, namentlich von Umberto Eco, Christian Metz und Jean Marie Peters.

Dem Herausgeber des Bandes, Franz-Josef Albersmeier, gilt auch für diese neue Epoche der Theoriegeschichte das russische Filmgenie Sergej M. Eisenstein als Übervater. Das mag vielleicht erklären, warum Albersmeier anmerkt, es sei hier "nicht der Ort für eine kritische Sichtung des filmtheoretischen Ertrags der letzten zwei bis drei Jahrzehnte". Drei 'Alibibeiträge' aus jüngerer Zeit gibt es dennoch: einen inzwischen ebenfalls klassisch gewordenen Aufsatz von Laura Mulvey, die eine psychoanalytisch-feministische Position vertritt; den sich davon kritisch absetzenden Vorschlag zu einer neoformalistischen Filmanalyse von Kristin Thompson und zu guter Letzt einen Beitrag zum Thema Intermedialität von Joachim Paech. Wer sich einen Überblick verschaffen will über wichtige Strömungen der filmwissenschaftlichen Theoriebildung, ist mit dem vorliegenden Band gut bedient. Bleibt nur zu wünschen, dass Reclam vielleicht doch auch einmal einen Ort schafft für ein größeres Spektrum (post-)moderner "Texte zur Theorie des Films".

Titelbild

Franz-Josef Albersmeier (Hg.): Texte zur Theorie des Films.
Reclam Verlag, Stuttgart 1998.
504 Seiten, 11,20 EUR.
ISBN-10: 3150099439

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