Schlummernde Gesellschaftszersetzer

Magnus Mills' erster Roman "Die Herren der Zäune"

Von Ulrich RüdenauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ulrich Rüdenauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Niemand möchte Tam und Richie im wirklichen Leben begegnen. Ihre immer wieder aufscheinende Trotteligkeit gemahnt an manche von tieferen Einsichten verschont gebliebene Monty Python-Figur. Sie sind nur dann imstande, etwas auf die Reihe zu kriegen, wenn ihnen jemand mit dem Zaunpfahl winkend den Weg weist. Ansonsten sind sie selbstgenügsam, hängen abends in einem Pub herum, glotzen auf ihr Bier und bleiben zunächst einmal ungerührt von den Weltläuften. Zur Attraktivitätssteigerung tauschen sie, wenn sie sich's mal schön machen wollen, die Gummi- gegen Cowboystiefel. Das Wikingerhaar glänzt dann frisch gewaschen - ein Ansatz von Körperkult in einer seltsam fernen Männerwelt, in der Kernseife vermutlich als weibisch verpönt ist. Immer sieht man sie zu zweit. Aus Richies Kassettenrecorder rumpelt Black Sabbath oder Saxon, in halber Geschwindigkeit, weil die Batterien ihren Geist aufgeben. Eigentlich mag man den beiden wirklich nicht begegnen. Und trotzdem ist da etwas, was sie sehr sympathisch macht: eine Art von dumpfer Melancholie, mit der sie durchs Leben dümpeln; ein Hang zur Verweigerung des protestantischen Arbeitsethos', der nicht sonderlich reflektiert sein mag, aber sie gleichwohl in die Gemeinde der schlummernden Gesellschaftszersetzer aufnimmt. Sie packen zwar an, wenn es sein muss, tun aber nicht mehr als notwendig. Sie sind immun gegen die Zumutungen des Neoliberalismus. Im Grunde sind sie gutherzig und ehrlich. Antihelden im besten Sinn.

Tam und Richie gehören einer Zunft an, die bisher von literarischen Bearbeitungen relativ verschont geblieben ist: Die zwei Schotten arbeiten als Zaunbauer, manchmal sogar mit Leidenschaft. Allerdings ereilt sie in ihrem grauen Alltag das Schicksal in Form eines gutmütigen englischen Vorarbeiters - der Erzähler des Romans - und der wird ihnen aus gutem Grund vor die Nase gesetzt. Obendrein werden sie auch noch für einen Auftrag nach England abkommandiert. Das ist so ziemlich die schlimmste Strafe, die für Tam und Richie vorstellbar ist: die Heimat fern, Weihnachten nah, das Bier hinter der Grenze dünn und schlecht, die Arbeit mühsam.

Sie fügen sich und machen sich mit einem klapprigen Campingwagen, der selbst auf dem Schrottplatz noch eine schlechte Karosserie abgeben würde, auf den Weg nach Upper Bowland, um dort einen Hügel mit einem speziellen Spanndraht zu umzäunen. Dabei geraten sie allerdings ins Revier der Gebrüder Hall. Diese, ursprünglich aus der Metzgerbranche, haben sich irgendwann auch aufs Zäunebauen verlegt, sind aber dem Großauftrag von Mr. Perkins nicht gewachsen.

Überhaupt die Auftraggeber: Ungeschickterweise geraten sie immer ins Spannungsfeld eines Drahtes, in die Wurflinie eines Zaunpfahls oder in die Quere eines sich von seinem Stiel befreienden Hammerkopfes. Mit anderen Worten: Unglückliche Umstände befördern sie vom Leben in den Tod. "'Das wollte ich nicht', sagte Richie. 'Ich weiß', sagte ich. 'Was hat er denn hier gemacht?' 'Er wollte sich über irgendetwas beschweren.' Ein paar Minuten standen wir zu viert unschlüssig herum. 'Was machen wir mit ihm?', fragte Tam. 'Ich denke, wir sollten ihn begraben'. 'Aber auf seinem eigenen Grundstück, nicht hier', schlug Richie vor. 'Gute Idee', erwiderte ich. 'Wir könnten ihn unter einen der neuen Torpfosten auf dem Hügel legen.' [...]. 'Dann kann ich auch meinen Hammer holen', sagte Richie." Das ist, wenn der Begriff nicht schon so abgenutzt wäre, die pure Lakonik. Zurückhaltender und gleichzeitig effektvoller lässt sich diese Geschichte kaum erzählen.

Am Ende des Romans werden die drei von ihrem undurchsichtigen Chef Donald nochmals nach England geschickt: Sie sollen um die Wurstfabrik der finsteren Gebrüder Hall einen hohen Elektrozaun bauen, dessen Maße mehr an Menschen- denn an Schweinehaltung denken lassen. Man ahnt nichts Gutes. In die Sätze schieben sich tatsächlich ganz schwere Brocken: Von Laderampen ist die Rede, Menschen verschwinden, die Hall-Brüder wissen sogar Bescheid über die Leichen, die Tam, Richie und der Ich-Erzähler unterm Zaunpfahl zur letzten Ruhe gebettet haben. Der schwarze Humor kippt ins Düstere. Als Subtext laufen die Vokabeln KZ und Vernichtungslager unweigerlich mit, eine unheimliche Stimmung macht sich breit; Kafka meets Beckett in der englischen Provinz. Man muss Sorge haben um die beiden: Werden Tam und Richie dieser bösen Welt gewachsen sein?

Er verrät es uns nicht, der Autor dieses zugleich furchtbar komischen und tieftraurigen Buches: Magnus Mills hat bei seinem Erstling so ziemlich alles richtig gemacht, obwohl der 46-Jährige erst vor etwa neun Jahren mit dem Schreiben begonnen hat. Damals arbeitete er als Busfahrer und bot dem "Independent" Artikel über seine Erlebnisse mit den Londoner Verkehrsbetrieben und ihren Benutzern an. Darin finden sich solch trockene Einsichten wie die folgende: "Busfahren wäre einfach, wenn es da nicht die Passagiere gebe." Das sitzt. Aber für Magnus Mills waren solcherart feuilletonistische Weisheiten und Fingerübungen zum Glück nicht genug. Er bemerkte rasch, dass sich als Schreiber nur einen Namen machen kann, wer sich an die ganz grundsätzlichen Themen wagt. Das hat er getan und irgendwie instinktiv gespürt: Je einfacher und trockener eine Geschichte erzählt ist, desto eindringlicher kann sie geraten. Er profitierte dabei von seinen Erfahrungen als Zaunbauer, einem der ungewöhnlichen Jobs, mit denen sich Mills in früheren Zeiten über Wasser hielt. Heraus kam der Roman "The Restraint of Beasts", der nun von Katharina Böhmer - ebenfalls einer Debütantin - kongenial übersetzt wurde und unter dem Titel "Die Herren der Zäune" auf Deutsch vorliegt. Damit sind wir um zwei der kuriosesten Romanfiguren der letzten Jahre und zudem um die Ahnung reicher, dass man nicht Universitätswürden erreicht und Schreibseminare durchlaufen haben muss, um ein guter Autor zu werden. Mills Debüt wurde übrigens in über zwölf Sprachen übersetzt, in England sind bereits zwei weitere Romane von ihm erschienen. Man darf gespannt sein.

Titelbild

Magnus Mills: Die Herren der Zäune. Aus dem Englischen von Katharina Böhmer.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
216 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3518411845

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