Schreiben als Qual
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseSchon seit Mitte der 80er Jahre verkündet der amerikanische Soziologe Howard Becker die "große Befreiungsbotschaft" für alle angehenden und gestandenen Geisteswissenschaftler: "dass die [Schreib-]Probleme, die Sie haben, nicht von Ihnen allein verschuldet und nicht das Ergebnis eines fürchterlichen persönlichen Defektes sind, sondern als Immanenzen zur Organisation des akademischen Lebens gehören." Becker analysiert deshalb in seinem jetzt wieder aufgelegten Leitfaden "Die Kunst des professionellen Schreibens" in erster Linie die gesellschaftlichen Hintergründe konkreter Schreibsituationen, z. B. den Kampf mit der Sekundärliteratur und dem PC, Schreibblockaden, das Verfassen von Rohentwürfen und das Überarbeiten des Manuskripts. Ziel des Ratgebers ist es, den Schreibenden die Gründe zu verdeutlichen, warum wissenschaftliche Texte oft eine doppelte Qual darstellen - für den Verfasser und den Leser. Erst dann könnten, so Becker, konkrete Schreibtipps wie "Aktiv- statt Passiv-Konstruktionen!" greifen. Solche Tipps gibt Becker nur sparsam; seine häufigste Ermahnung lautet: "Den Text überarbeiten!". Lehrreicher sind die Anekdoten aus dem absurden Wissenschaftsbetrieb, dessen Aporien sich manchmal auf erschreckende Weise im Verfassen wissenschaftlicher Texte spiegeln.
U. B.