Borderline-Prosa, uncool
Eine Materialsammlung von Ulf Poschardt
Von Dirk Fuhrig
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUlf Poschardt, ehemaliger Chefredakteur des Magazins der "Süddeutschen Zeitung", ist in seinem neuen Buch in die Temperamenten-Lehre eingetaucht. Nach "DJ-Culture" und "Anpassen" widmet sich der 33-Jährige einem Begriff, der seit Jahrzehnten die Sprache der Pop-Kultur durchzieht. Zunächst Ausdruck höchster Bewunderung, ist "cool" mittlerweile ziemlich abgenutzt und bedeutet oft einfach nur noch "ganz nett". Doch Poschardt geht es um mehr als den Begriff. Auf 440 Seiten untersucht er eine Ästhetik, die sich zwar am Ende des 20. Jahrhunderts zu einer allgemeinen Mode verbreitet hat, für ihn als Lebenshaltung aber bereits seit Menschengedenken existiert.
Die Materialsammlung für diese Kulturgeschichte der Kälte ist beeindruckend. Der promovierte Journalist (ihm verdanken wir seit der Affäre um gefälschte Prominenten-Interviews die Kenntnis des Begriffs "Borderline-Journalismus") und DJ hat in tausenden von Jahren Geschichte, Literatur, Philosophie und Alltagskultur gewühlt - und dabei ganz offensichtlich den roten Faden verloren.
Alles, was irgendwie mit Eis und Schnee, mit Blau oder Glatt zu tun hat, wird bei ihm zu "cool". Die leichthändig und oft bedenkenlos hergestellten Analogien zwischen äußerer Kälte und der emotionalen Panzerung der menschlichen Seele erlauben dem Autor ein freies Assoziieren quer durch die abendländische Tradition: Die alten Stoiker mit ihrer Gemütsruhe können so in einem Atemzug mit Björk aus Island (= Iceland!) auftauchen; Thomas Bernhards Erzählung "Frost" passt genauso ins Bild wie der Untergang der Titanic im kalten Nordmeer. Pop-Songs wie "Ich möchte ein Eisbär sein", Madonnas "Frozen", Ang Lees Film "Der Eissturm" und kalter Automatensex im Cyberspace werden solange mit Zitaten von Nietzsche, Thomas Mann, aus Malerei und Film, mit Polarexpeditionen und Snowboarding collagiert, bis auch der letzte der teilweise ganz klugen Gedanken und kulturhistorischen Bezüge in einem undurchdringlichen weißen Rauschen verschwimmt.
Die Ästhetik der Abschottung, die Stilisierung in kühler Pose, um die es Poschardt im Grunde geht, verflüchtigt sich in dieser Borderline-Prosa, die gewichtig gestikuliert, durch viele Unschärfen glänzt und dabei nur Wortgeklingel verbreitet. Eher uncool.
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