Anekdoten rund um den Aktenschrank

Heiko Michael Hartmann erzählt hin und her

Von Saskia SchulteRSS-Newsfeed neuer Artikel von Saskia Schulte

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt einen Roman, der so ist, wie man sich den Alltag eines Beamten vorstellt. Autor des Romans ist - oh Wunder - ein Verwaltungsjurist. Der Erzähler ist Beamter, und was er von sich gibt, ist so langweilig, dass man sich beim Lesen mit den Buchdeckeln Luft zufächern muss, um nicht einzuschlafen. In "Unterm Bett" gibt es keine fortlaufende Handlung, sondern Darstellungen des Beamtendaseins, ausgefüttert mit Anekdoten und zwei, drei Geschichtchen. Und als wäre das noch nicht genug Qual für 222 Seiten, muss auch noch überdacht und reflektiert werden. Ja, das Beamtentum - was ist das überhaupt? Und was machen wir da eigentlich den ganzen Tag? Und ist das nicht fürchterlich eintönig? Da kann der Leser nur nicken. Wenn er nicht gerade gähnt.

Es ist fast schon eine Kunst, den Leser geradezu miterleben zu lassen, wie grau und trist es auf Ämtern zugeht. Wen der Titel neugierig gemacht hat, der wird enttäuscht: "Unterm Bett" ist gar nichts los. Dahin sehnt sich der Ich-Erzähler lediglich, um Nabelschau zu betreiben. Woran er uns - leider - teilhaben lässt.

Es gibt auch Lichtblicke: stellenweise findet man neben platter Selbstironie doch noch Humoriges und Originelles. So etwa die Episode um ein tollpatschiges Stelldichein mit Frau Patschfeld, die sich dem Ich-Erzähler aufdrängt und ihn mit Keksen belauert. Ansonsten sind es Lappalien und Toilettengeschichten, die aus der Behörde berichtet werden. Es ist skandalös, wie seelenruhig der Autor Belanglosigkeiten heruntererzählt - und dass daraus ein immerhin sehr schön gestaltetes Buch geworden ist, das man getrost im Regal stehen lassen kann.

Schon seinen ersten Roman "MOI" versetzte Hartmann mit pseudo-philosophischen Ansichten über Leben und Sterben. Doch gibt es hier eine fortlaufende Handlung, zudem eine äußerst außergewöhnliche: Der mit "MOI" infizierte Ich-Erzähler liegt auf einer Krankenstation und wartet auf sein Ende. Seine Mitpatienten sind unerträglich, sein Körper schwillt immer weiter an, und hin und wieder fällt er ins Delirium. Genesen kann er nicht von dem Virus, der sich durch die neuen 50-Euro-Geldscheine überträgt.

Die Zeit, die ihm verbleibt, nutzt er sinnvoll - er beobachtet seine aufgeblähten Leidensgenossen und kommentiert deren Fernsehverhalten und Verwandtenbesuche. Krankenschwestern versüßen ihm den Abschied und den Schmerz. Die am Krankenbett gesprochene Sprache wird auf die Schippe genommen und im Originalton wiedergegeben: "Sie hammja schon wiedern Katäta rausgerissn!" und "Un ej oh hassndu dess gestern geseehn, dess mit dem Typn inner Glückstromml?"

Doch Hartmanns Sprachgewitztheit reicht noch weiter. Es gibt Brüche im bitterböse-lustig erzählten Text: Wenn der Erzähler ins für MOI symptomatische Delirium fällt, fabriziert er Sätze wie: "War es möglich, daß diese wunderbare Frau, eine Frau so schön, wie ich noch nie habe ich konnte es einfach nicht glauben, daß sie hielt mich an den Händen und sagte: Doch! Sollte das mußte doch heißen, daß es keine Verwechslung war!"

Titelbild

Heiko Michael Hartmann: MOI. Roman.
Carl Hanser Verlag, München/Wien 1997.
190 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3446189343

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Titelbild

Heiko Michael Hartmann: Unterm Bett. Roman.
Carl Hanser Verlag, München/Wien 2000.
222 Seiten, 17,40 EUR.
ISBN-10: 3446198431

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