Weltkomödie in Österreich
Oliver Bentz untersucht den Skandal um Bernhards "Heldenplatz"
Von Daniel Gerber
Besprochene Bücher / Literaturhinweise"Thomas Bernhard ist ein Psychopath, doch kein großer Dichter", schimpfte ein empörter Theaterliebhaber, andere ließen den damaligen Burgtheater-Intendanten Claus Peymann wissen, dass sie der "Drecksau, den Schädel friedhofsreif schlagen" würden und "die Deutschen uns Österreichern immer nur Unglück gebracht" hätten.
Diese und noch wüstere Beschimpfungen hat der Philologe Oliver Bentz in seinem Buch "Thomas Bernhard - Dichtung als Skandal" gesammelt, in dem er die Ereignisse einer vier Wochen dauernden "Theaterschlacht" nachzeichnet. In der Zeit, die zwischen der Erstveröffentlichung von Textfragmenten in der "Neuen Kronen Zeitung" und der Uraufführung von Bernhards Stück "Heldenplatz" am Wiener Burgtheater im November 1988 lag, bewegte ein handfester Theaterskandal die österreichische Öffentlichkeit. Bernhard-Anhänger und -Gegner stritten sich über die Freiheit der Kunst, wobei Letztgenannte ein erstaunliches Maß an Aggressivität erkennen ließen, den Autor als "Vaterlandsverräter" beschimpften und seine Ausweisung forderten. In den Leserbriefspalten und Kommentaren der Zeitungen war die "Causa Heldenplatz" ebenso sehr beherrschendes Thema wie im Fernsehen.
Im Hauptteil seiner Untersuchung deckt Bentz unter dem Titel "Österreich als Weltkomödie" die Beweggründe aller am Wirbel beteiligten Parteien auf. Der Presse, und hier besonders dem Massenblatt "Neue Kronen Zeitung", schreibt er dabei den Hauptanteil an der Hetzkampagne zu, die gegen den Autor Bernhard und den Intendanten Peymann geführt wurde. Da die beiden Provokateure schon seit Jahren befreundet waren, hieß es immer wieder, der Deutsche biete dem Vaterlandsverräter ein Forum für seine Beschimpfungen.
In der Tat hatte Peymann anlässlich des 100-jährigen Burgtheater-Jubiläums Bernhard aufgefordert, ein Stück zu schreiben. Da sich 1988 auch der Anschluss Österreichs an Nazideutschland zum fünfzigsten Mal jährte, schlug Peymann dies und den heutigen Umgang mit diesem Thema vor. Im Frühjahr lieferte Bernhard die erste Fassung ab, die Proben konnten beginnen. Um die Brisanz seines Textes wissend, hatte Bernhard ihn bis zur Premiere geheim halten wollen; einer Schauspielerin wurde jedoch ein Fragment aus der Handtasche gestohlen, tags darauf fanden sich Auszüge daraus auf dem Titelblatt der "Neuen Kronen Zeitung".
"Heldenplatz" handelt von einer jüdischen Familie, die während des Hitlerregimes nach England emigriert und in den fünfziger Jahren nach Wien zurückkehrt, da der Vater einen Ruf an die Universität erhält. Seine Frau möchte so schnell wie möglich wieder nach England zurück, da sie täglich das Geschrei vom Heldenplatz zu hören glaubt, wo die Menge begeistert Hitlers Einzug feierte. Der Professor begeht aus Verzweiflung über die immer noch fremdenfeindliche und nationalsozialistische Mentalität der Wiener Selbstmord. Hier setzt das Stück ein, das am Begräbnistag dem Bruder des Verstorbenen, seinen Töchtern und der Wirtschafterin reichlich Gelegenheit bietet, sich über das heutige Österreich zu äußern.
Passagen aus "Heldenplatz" wurden während der Diskussion aus dem Zusammenhang gerissen und als Vaterlandsbeschimpfungen bezeichnet: "Österreich: 6,5 Millionen Debile und Tobsüchtige" oder "gemeingefährlichster aller europäischen Staaten". Darüber hinaus begingen "Krone" und "Wiener Presse" und in deren Gefolge alle Bernhard-Beschimpfer das Sakrileg, Äußerungen von Figuren des Theaterstücks dem Autor in den Mund zu legen.
Welche Genugtuung muss es, bei aller Schrecklichkeit, für Bernhard gewesen sein, am Tag der Premiere von "Heldenplatz" von einem alten Mann beschimpft zu werden: "Umbringen sollt man eana. Vergast g´herten´s!". Dass sich diejenigen, die er in seinem Drama so genau beschreibt, die Unbelehrbaren, die immer noch auf Staat und Volk zu stolz sind und nichts von Fehlern in der Vergangenheit hören wollen, dass die sich selbst entblößten, ist wohl eines der größten Verdienste Bernhards.
Oliver Bentz, der für seine Magisterarbeit über Thomas Bernhard 1995 den Förderpreis Kultur und Literatur erhielt, legt auf wenig mehr als hundert Seiten das damalige Interessengeflecht von Intendanz, Autor und Presse, aber auch von Politikern, Parteien und Öffentlichkeit dar, so dass der damalige Theaterskandal zwar nichts von seiner Irrationalität verliert, jedoch in seiner Komplexität durchschaubar wird.