Im Ruderboot zum Glück
Hans Maarten van den Brink erzählt vom Wasser als Lebenselixier
Von Christiene Sipkema
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseWasser - es fließt, manchmal unbemerkt still, dann wieder stürmisch, alles mit sich reißend. Es ist oft unberechenbar. Und doch besitzt es die unerklärliche Fähigkeit, Sehnsucht zu erzeugen, Sehnsucht nach dem reinen Glück, nach Geborgenheit und Freundschaft.
Anton ist noch sehr jung als er zum ersten Mal dieses Gefühl verspürt: Er blickt über die Brüstung einer Brücke und plötzlich schießt, direkt unter ihm, ein Ruderboot wie aus dem Nichts hervor, gleitet majestätisch kraftvoll über den Fluss. Und Anton weiß: Er muss auch hinunter auf dieses Wasser, so launisch es auch sein mag.
Vorsichtig und gleichermaßen melancholisch erzählt Anton seine Geschichte, die 1939 beginnt und zwei Sommer dauert. Fünf Jahre später nun sitzt er auf dem Steg des Rudervereins, der inzwischen verfallen und verlassen ist wie der Rest des Geländes. Alles ist still, zu still, sein Blick ist trüb wie das Wasser und langsam, in zurückhaltenden Sätzen, die an seine Kindheit erinnern, berichtet Anton von einer Zeit, in der sowohl das Wasser wie auch er selbst klar und lebendig dahinglitten, von einer Zeit, in der das Glück durch ihn hindurchfloss:
Das Wasser - ein Abbild seines Innern.
Er sitzt mit David im Boot und sie rudern. Ihre Bewegungen harmonisieren sich zu gleichmäßigen Ruderzügen; Backbord kann nicht ohne Steuerbord: nur gemeinsam kommen sie auf dem Fluss voran. Sie kämpfen gegen den Schmerz in den Muskeln, gegen Müdigkeit, gegen Wind und Wetter. Sie können sich nicht in die Gesichter sehen und auch sonst sind sie einander fern. Getrennt durch soziale Barrieren wohnen sie in zwei verschiedenen Welten. Beide sind sie Außenseiter. Anton ist Sohn sich ständig duckender Eltern, die so oft es geht in den sicheren Schoß ihrer kleinen Dutzendwarewohnung fliehen, zu der die Außenwelt keinen Zugang hat. David entstammt einer wohlhabenden und gebildeten jüdischen Familie. Die Villa ist Mittelpunkt von Stolz und Erhabenheit - und der Krieg ist nah.
Erst auf dem Wasser des Flusses, dem Niemandsland zwischen Villen- und Mietskasernenkosmos, verlieren sich die Gegensätze in den Trikotfarben des Rudervereins unter der lauten Stimme ihres deutschen Trainers Schneiderhahn, einem weiteren Außenseiter im Kreise des Vereins auf niederländischem Boden. Gemeinsam streben sie den Olympischen Spielen in Finnland entgegen. Sie wollen erfolgreich sein und sich einen Platz in der Gesellschaft erkämpfen, der mit jedem Riemenschlag näher zu rücken scheint.
Zunächst gleicht Antons Rückblick eher einem Bericht über vergangene, glückliche Zeiten, doch bald kann der Leser in dem allgegenwärtigen Ruderboot Platz nehmen und den Rhythmus der Ruder spüren. Der Erzähler will sichergehen, dass seine Geschichte miterlebt wird, denn sie trifft auf fast jeden zu, der nach dem Glück fahndet: "Du hast Angst vor deinem eigenen Plan, dem Auftrag, über dich selbst hinauszugehen, tiefer und weiter zu gehen, als du es für möglich hältst, dir Schmerz zuzufügen. Du hast Angst zu leben."
Es geht nicht nur um den Glückstaumel nach einem gewonnenen Wettkampf und auch nicht um die Anerkennung durch die Gesellschaft. Anton rudert zu sich selbst. Er ist der Schlagmann im Boot, er gibt das Tempo vor. Der Weg ist nicht einfach, das verspricht das Training und die Angst, verlassen zu werden, von David, dem ersten und einzigen Freund.
Doch, endlich, scheint die Ziellinie, das Glück, erreicht.
Mit seinem Roman "Über das Wasser" schafft Hans Maarten van den Brink eine eindrucksvolle Momentaufnahme des Glücks. Es kann erarbeitet, erlernt werden. Und es kann von kurzer Dauer sein. Wohl aber finden sich Menschen wie Anton, die auch später noch an die Zeiten des Glücks zurückdenken und wissen, dass es sich lohnt, zuversichtlich zu sein: "Der Fluss hat mich gelehrt, dass Bewegung Leben ist."
Schließlich ist es der Übersetzerin Helga van Beuningen gelungen, die authentisch knappen Worte des Erzählers wiederzugeben, ohne dass sie ihre Schüchternheit an der doch etwas ausdrucksvolleren deutschen Sprache verlieren.
Wer glücklich ist oder es bis vor wenigen Augenblicken noch war, wird das Rudern genießen.