Wer prägte wen oder Die ewige Frage nach den Vorbildern

33 deutsche Jungautoren berichten

Von Ann-Katrin RaheRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ann-Katrin Rahe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jürgen Jakob Becker und Ulrich Janetzki haben es gewagt und jungen deutschen Autoren und Autorinnen die so verhasste Frage nach ihren literarischen Vorbildern gestellt. Aus den Antworten ist ein Buch entstanden, bestehend aus 33 kurzen Texten, die sich mit dieser Frage ganz unterschiedlich auseinander setzen.

Wie an einer Perlenkette aufgereiht sind die Texte, jede einzelne Perle wirkt schön und besonders, jeder Text individuell und interessant, aber nach der fünften Perle wiederholen sich die Muster aufgrund der immer gleichen Ausgangsfrage - sie beginnen zu langweilen. Es ist also kein Buch, dass man in nur einer Nacht lesen sollte. Nach einer gewissen Zeit jedoch glitzert einem etwas irgendwie Neues entgegen. Treffende Beobachtungen werden wie im Vorübergehen mitgeteilt. So heißt es bei Katharina Hacker: "Bücherregale, die von innen viel größer sind als von außen." Oder bei Daniel Kehlmann: "Dass man wissen muss, dass Perfektion und Dauer Illusionen sind und dass am Ende nichts bleibt. Und doch schreiben als bliebe alles."

Doch nicht alle geben bereitwillig Auskunft. Während die überwiegende Zahl der Autorinnen die Frage nach den Vorbildern als Frage nach den Anfängen des Schreibens versteht und nicht selten bei den Kinderbüchern beginnt, variieren die Antworten der männlichen Kollegen stark. Von der Bemerkung, die Frage sei eine Autorenfolter und er, Joachim Helfer, sei doch kein literarischer Nachbildner bis hin zur schlichten, kommentarlosen Zitatenreihe der Vorbilder Arno Geigers ist alles zu finden. Als Einflussgeber werden neben der Literatur auch das Theater, die Musik und das Fernsehen genannt. Es ist gerade diese Vielfalt, die dieses Buch so lebendig macht. Wenn Inka Parei beispielsweise beschreibt, wie tief sie die TV-Serie "Kung Fu" beeindruckt habe, während sie die Erinnerungen an Kafka durch wiederholtes Lesen auffrischen musste, wirkt der Text echt und sympathisch. Plötzlich muss man über alle Autoren, die vorher von ihren starken "Kafka-Erlebnissen" berichteten, schmunzeln. So auch, als schließlich Daniel Kehlmann die so hoch gelobten Thomas Bernhard-Texte einfach als "hämmernde Banalitäten" bezeichnet, die "nach immer gleicher Formel gestrickt" seien. Dieser plötzliche Gegenwind erfrischt und gerade von solchen Abwechslungen lebt diese Textsammlung.

Das Schönste an diesem Buch ist jedoch, dass es zum Lesen anderer Bücher anregt. Wer von Friederike Mayröcker noch nie etwas gelesen hat, wird sich nun vielleicht ein Exemplar von "Abschieden" besorgen, um das "schwebende Glücksgefühl" nachzuempfinden, das Ulrike Draesner beschreibt. Aber auch Wittgenstein und Shakespeare werden in ein neues, möglicherweise aufregenderes Licht gerückt. Doch nicht nur die erwähnten Werke wecken Interesse, auch die Bücher der Autoren selbst fangen an interessant zu werden. Und so wird dieses Buch zum Türöffner. Indirekt und gerade deshalb so effektiv.

Titelbild

Jürgen Jakob Becker / Ulrich Janetzki: Helden wie Ihr. Junge Schriftsteller über ihre lit. Vorbilder.
Quadriga Verlagsgesellschaft, Weinheim 2000.
218 Seiten, 14,30 EUR.
ISBN-10: 3886793478

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