Die geschlechtsspezifische Angst in der Schauer- und Kriminalliteratur um 1800

Silke Arnold-de Simines Dissertation "Leichen im Keller"

Von Stefanie HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Beeinflusst von den "gothic novels" in England entwickelte sich im späten 18. Jahrhundert auch in Deutschland die so genannte Schauerliteratur. Während in England 75% der Schauerromane von Frauen verfasst wurden, waren in Deutschland Frauen vor allem als Rezipienten aktiv. Die wenigen deutschen Verfasserinnen mussten den schwierigen Balance-Akt zwischen der bürgerlichen Erwartungshaltung an die Frau und ihrer Selbstverwirklichung innerhalb des schriftstellerischen Schaffens bewerkstelligen. Aus der Rolle der Frau in der bürgerlichen Familie ergaben sich die hier thematisierten Angstinszenierungen innerhalb der Schauer- und Kriminalliteratur. Auffallend ist dabei, dass sich die Ängste oft innerhalb von Gebäuden entwickeln, die an Gefängnisse oder Klöster gemahnen und dass die Bedrohung häufig durch Konflikte innerhalb der Familie ausgelöst werden. Es geht also um Orte, die sowohl Zufluchtsorte als auch Stätten der Bedrohung darstellen.

Die Romane Benedikte Nauberts sind bei der Entstehung der Gattung prägend, während Caroline de la Motte-Fouqué diese weiterentwickelt und die Werke männlicher Kollegen beeinflusst, bzw. von diesen beeinflusst wird. Parallelen zu E. T. A. Hoffmann, aber auch zum "Gespensterbuch" von Johann August Apel und Friedrich Laun sind klar zu erkennen. Dies ist bis zu einem gewissen Grad erstaunlich, da die dargestellten Ängste der Frauen der familiären Situation entspringen, die durch bürgerliche Rollenvorstellungen den Frauen ein Verhalten aufnötigen, das, gekennzeichnet durch unterschiedlichste Erwartungen, zu internalisierten Ängsten führt. Da dieses Rollenverständnis allerdings bereits durch die Elterninstanz verinnerlicht wurde, versuchen die schreibenden Frauen in der Darstellung ihrer Protagonistinnen diesem Verständnis zu entsprechen. Die unausgelebten Konflikte äußern sich zum Teil in konträren literarischen Frauengestalten, die zum einem Anpassung, zum anderen Rebellion symbolisieren. Das spezifisch Weibliche wird vor allem in den Brüchen oder in den ins Extrem getriebenen und damit ad absurdum geführten Rollenklischees deutlich.

Die Grundlage für die Untersuchung literarischer Texte bildet die genaue Analyse der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die wirtschaftliche Veränderung und die Auslagerung des beruflichen Wirkungsbereiches des Mannes aus dem Haus bewirken eine Beschränkung der Frau auf Heim und Familie. Ihre Aufgaben werden als Liebesdienst bezeichnet. Durch die Konflikte, die durch die verschiedenen Anforderungen als Ehefrau, Mutter und Geliebte entstehen, entwickeln sich Ängste, die nicht offen ausgelebt werden dürfen. Norbert Elias' "Prozeß der Zivilisation" diente Arnold-de Simine dabei als Ausgangspunkt. Neben der Idealisierung der Frau als liebend, aufopfernd und Harmonie herstellend, besteht die männliche Angst vor der revoltierenden Frau (in Analogie der Bedrohung der ökonomischen Ordnung durch Ereignisse der Französischen Revolution). Dies führt wiederum zu einem misstrauischen und "domestizierenden", erziehenden Verhalten des Mannes gegenüber der Frau.

Weiter setzt sich die Autorin in einer genauen Analyse des Angstbegriffes mit verwandten Begriffen auseinander: Das "Sublime" in der englischen Diskussion und das "Erhabene" in der Definition deutscher Literaten und Philosophen tragen zur Erhellung der Terminologie wesentlich bei. Indessen geht die Autorin mit den Freud'schen Theorien zum "Unheimlichen" und zur Weiblichkeit kritisch um. Freud, mit dem Begriff der "Kastrationsangst" operierend, verdeckt bei seiner Analyse mehr als er in der Lage ist aufzudecken. Laut Arnold-de Simine eine Folge seines verklärten Bildes der Mutter und ihrer Beziehung zum Sohn.

Diese Vorüberlegungen und die Darlegung der verschiedenen Angstdiskurse sind unabhängig von der anschließenden Anwendung auf literarische Texte informativ und machen den wahren Wert der Arbeit aus. Sie liefern wertvolle Ansätze, die für weitere als die hier dargestellten Texte eine Analyse erleichtern dürften.

Titelbild

Silke Arnold-de Simine: Leichen im Keller. Zu Fragen des Gender in Angstinszenierungen der Schauer- und Kriminalliteratur (1790-1830).
Röhrig Universitätsverlag, St Ingbert 2000.
535 Seiten, 37,80 EUR.
ISBN-10: 3861102633

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