Die Rache der Unterdrückten
Mario Vargas Llosas Roman "Das Fest des Ziegenbocks"
Von Peter Mohr
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseUrania Cabral, eine erfolgreiche Anwältin, kehrt nach vielen Jahren aus New York in ihre Heimat zurück, um dort ihren Vater zu besuchen. Mit dieser Visite verbindet Urania die Hoffnung, Klarheit über die eigene Vergangenheit und die ihres Vaters zu erhalten. Doch Vater Cabral sitzt stumm in einem Rollstuhl, gezeichnet vom Alter und von den 40 Jahren Diktatur unter dem blutrünstigen Rafael Trujillo. Der naive Cabral hatte es in dieser Zeit zum Senatspräsidenten gebracht, war einer der treuesten Vasallen des Despoten und opferte ihm sogar seine damals 14-jährige Tochter Urania zur Entjungferung. Ist es das Alter oder sind es Scham- und Schuldgefühle des alten Cabral gegenüber seiner Tochter, die ihn in eine völlige Apathie getrieben haben?
Der immer wieder (aus guten Gründen) als Nobelpreiskandidat gehandelte Peruaner Mario Vargas Llosa, der Ende März seinen 65. Geburtstag feierte, erzählt über den blutigen Terror, der mehr als 30 Jahre lang (1930-1961) den Alltag in der Dominikanischen Republik bestimmte. Mario Vargas Llosa erzählt dieses bedrückende Panorama einer Diktatur und das zentrale Motiv des Romans - das Attentat auf Trujillo - auf alternierenden Erzählebenen.
Nicht die Figur des Diktators Trujillo mit all ihren brutalen Auswüchsen scheint für Vargas Llosa das reizvolle Motiv gewesen zu sein, sondern die Frage, warum sich ein Volk über einen solch langen Zeitraum von einem "Ein-Mann-Staat" tyrannisieren ließ. In einem Interview versucht der Autor eine Antwort auf diese Frage zu geben: "Trujillo erging es wie Nero und den anderen mächtigen Diktatoren, die sich in Monster verwandelten. Sie konnten sich zu autoritären Alleinherrschern machen, weil ihr Volk auf Widerstand verzichtete und ihre Exzesse nicht bremste."
Diese Form der duldsamen Mitläuferei, die auch an anderen Orten, zu anderen Zeiten, unter anderen Regenten in der Geschichte präsent ist, praktizierten vor allem die Angehörigen der dominikanischen Oberschicht, die um ihren materiellen Wohlstand fürchten und sich Trujillo auf abscheuliche Weise (wie etwa der alte Cabral) anbiedern. Diese rationalen Mechanismen setzen sich auch nach Trujillos Ermordung durch ehemalige Anhänger fort. Sein Nachfolger wird Joaquin Balaguer, ein schweigsamer, hinterbänklerischer Gehilfe des einstigen Diktators. Der Feingeist, der seit seiner Jugend Gedichte schreibt, stammt aus ärmlichen Verhältnissen und führt zu seiner "Entschuldigung" an, dass er gar keine andere Chance gehabt habe, in der Politik Fuß zu fassen. Nie habe er jedoch einen Menschen getötet, und nie habe er dabei zugesehen. Im Gegensatz zum Hitlerfan Trujillo, der sich nicht nur grauenhafte Foltermethoden ausdachte, sondern auch den Quälereien und Hinrichtungen persönlich vorsaß: "Sex und Gewalt, beide Instinkte sind zentrale Aspekte unseres Daseins", glaubt Mario Vargas Llosa und hat damit den Diktator kurz, aber präzise charakterisiert. Aus Trujillos Affinität zu exzessivem Sex - bevorzugt mit blutjungen Mädchen - resultiert auch der Spitzname "Ziegenbock".
Für diesen Roman ist es nur von nachrangiger Bedeutung, ob Fakten oder Imaginationen dominieren. Vargas Llosa, der 1990 in Peru bei den Präsidentenwahlen gegen Alberto Fujimori unterlag, hat (nach eigenen Angaben) zwar gründlich recherchiert, doch erst mittels seiner bildkräftigen Sprache und seiner scharf konturierten Personenbilder konnte dieses gleichermaßen beeindruckende wie beängstigende Gesellschaftsbild entstehen, das von einer "spirituelle[n] Knechtschaft" (so der Autor) geprägt sei.
Nicht von den großen Diktatorenromanen "Der Herbst des Patriarchen" von Gabriel Garcia Marquez oder "Der Herr Präsident" von Miguel Angel Asturias, sondern von Joseph Roths "Radetzkymarsch" habe er viel für seinen neuen Roman gelernt. Dieses Selbstzeugnis des Autors will nicht so ganz einleuchten, denn unübersehbar ist, dass Vargas Llosas neuer Roman in seiner Mischung aus Reportage und Erzählung und in seinem unbändigen Aufklärungsgestus an Gabriel Garcia Marquez' "Nachricht von einer Entführung" (dt. 1996) erinnert. Gleichviel - beide mögen sich nicht, sind aber die herausragenden Gestalten der lateinamerikanischen Literatur. Mit einem nicht unbedeutenden Unterschied: Garcia Marquez hat den Nobelpreis bereits 1982 erhalten. Mit diesem großen Roman hat sich Vargas Llosa noch einmal nachdrücklich dem Stockholmer Komitee empfohlen.
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