Schicksal oder Willensfreiheit

Ciceros Schrift "De fato" in einer zweisprachigen Ausgabe

Von Beate CzaplaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Beate Czapla

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

M. Tullius Cicero vereinigt den römischen Politiker, Rhetor, Philosophen und Schriftsteller in einer Person. In seiner kleinen, nur lückenhaft überlieferten Schrift "De fato" diskutiert er die Lehrmeinungen griechischer Philosophenschulen des 4. bis 2. vorchristlichen Jahrhunderts (Megariker, Stoiker, Epikureer, Akademiker) zu der seine Zeit durchaus bewegenden Frage: Ist das Handeln eines Menschen vom Schicksal vorherbestimmt, so dass er nicht zur Verantwortung für sein Tun gezogen werden kann, oder kann er frei entscheiden, so dass er auch immer verantwortlich ist? Cicero erklärt sich letztlich für die Willensfreiheit.

Da diese Frage für das christlich-abendländische Denken keine große Rolle spielt, hat die Schrift niemals die Bedeutung erlangen können, die andere Schriften Ciceros, namentlich "De re publica", "De legibus", "De officiis", "De natura deorum", "De finibus bonorum et malorum" und die "Tusculanae disputationes" gefunden haben. So kann sich eine zweisprachige Ausgabe von "De fato" auch nur an eine relativ kleine Gruppe Interessierter richten. Eine solche Ausgabe hat Karl Bayer bereits 1963 das erste Mal in der Tusculum-Reihe vorgelegt, und diese Ausgabe wurde 1976 und 1980 als 2. bzw. 3. Auflage nochmals gedruckt. Nun hat er sie als überarbeitete 4. Auflage herausgebracht. Hierfür hat Bayer an der Übersetzung einige Korrekturen vorgenommen, vor allem aber den umfangreichen kritischen Apparat der ersten Auflagen, der dort unter dem Text zu finden war, auf die Abweichungen seines Textes vom dem der Hauptkodizes reduziert, in denen die Schrift überliefert ist. Ganz verzichtet hat er in den Ausführungen zur Textüberlieferung auf die Liste der nicht verwerteten Handschriften, die äußeren und inneren Gruppenmerkmale, sowie das Stemma der Handschriften und die Literatur zur Textüberlieferung. Diese Beschränkungen sind sicher sinnvoll, da der an textkritischen Fragen interessierte Philologe ohnehin auf die wissenschaftlichen Ausgaben von Ax und Giomini zurückgreifen wird. Die übrigen Veränderungen sind eher kosmetischer Natur. So wurden z. B. die "Erläuterungen" der drei ersten Auflagen in einer größeren Type zur "Einführung" der vierten mit den gleichen Literaturhinweisen und der "Kommentar" der ersten drei Auflagen ebenfalls in einer größeren Type zu den "Anmerkungen" der vierten. Etwas peinlich wirkt das drucktechnische Versehen, dass es zwar eine Erläuterung zu einer Illustration auf der Titelseite gibt, die sich in den ersten Auflagen dort auch befindet, nun aber fehlt.

Sicherlich gibt es an dieser Textausgabe kaum etwas auszusetzen, es muss jedoch die Frage erlaubt sein, ob der Text es tatsächlich verdient, ein viertes Mal in der gleichen Reihe herausgebracht zu werden, obwohl die Vorgängerausgabe keine allzu gravierenden Mängel aufwies, oder ob es nicht sinnvoller wäre, andere lateinische und griechische Texte, die überhaupt noch nicht übersetzt sind, deren Übersetzungen nicht mehr auf dem Markt oder selbst in den Bibliotheken nur selten zu finden sind, durch eine zweisprachige Ausgabe zugänglich zu machen. Schließlich hat Ernst Heimeran, der Begründer, die Tusculum-Reihe mit der für damalige Zeit bemerkenswerten Voraussicht ins Leben gerufen, dass der lateinischen und griechischen Literatur die damnatio memoriae droht, da in absehbarer Zeit kaum einer mehr diese Texte im Original verstehen wird. Solange also noch die Möglichkeit besteht, sind u. a. folgende lateinische und griechische Schriften sicherlich wert, in die Tusculum-Reihe (wieder) aufgenommen zu werden: Ein Desiderat sind z. B. Neuauflagen der selbst antiquarisch kaum mehr greifbaren, literarhistorisch bedeutenden Werke des Kallimachos und der "Anthologia Graeca". Es fehlen Übersetzungen der "Anthologia Latina" sowie der "Carmina epigraphica", der spätantiken Epen "Achilleis" und "Thebais" des Statius, der "Argonautica" des Valerius Flaccus, der "Punica" des Silius Italicus, aber auch der "Vita Martini" sowie weiterer Dichtungen des Venantius Fortunatus. All diese Dichtungen sind Vorbilder der umfänglichen lateinischen Dichtung in Humanismus und Barock. Im Bereich der lateinische Prosa wäre zu denken an die rhetorischen Werke Senecas des Älteren, im Bereich der griechischen Prosa besonders an die kulturhistorisch interessanten Memorabilien Plutarchs, die außer im Orginal beinahe nur in den englischen Übersetzungen der Loeb Classical Library zu benutzen sind.

Titelbild

M. Tullius Cicero: De fato/ Über das Schicksal. Lateinisch-deutsch. Herausgegeben und übersetzt von Karl Bayer.
Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf 2000.
179 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3760817246

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