Der Denker als Täter
Politische Irrgänge eines vermeintlichen Philosophenkönigs
Von Sabine Klomfaß
Besprochene Bücher / LiteraturhinweiseIn der Studeo-Reihe des Rombach-Verlags ist als achter Band eine Einführung zu Martin Heideggers politischer Verortung (hauptsächlich in Bezug auf seine Rektoratszeit 1933-34) erschienen, herausgegeben von Gottfried Schramm und Bernd Martin. Hier soll der Frage nachgegangen werden, inwiefern Heidegger als Nationalsozialist verstanden werden könne, wenn dieses Wort selbst auch eher vermieden wird. Man liest vielmehr vom "Umbruch in Deutschland", mit dem der berühmte Freiburger Philosoph geliebäugelt hat, oder von "Fehlbarkeit auf fremdem Felde". Damit ist auch schon der Titel des ersten Aufsatzes von Bernd Grün genannt, der die Bestandsaufnahme der gegenwärtigen Literatur zu Heideggers politischen Fehlgängen zum Thema hat. Dieser umfangreiche Text liest sich wie ein sehr subjektiv kommentierter Literaturbericht und hätte objektiver und übersichtlicher in der Form sein können.
Die folgenden Beiträge, u. a. von Walter Biemel und Max Müller, bieten mit ihren jeweils differierenden Perspektiven spannendere Einblicke in Heideggers (hochschul-)politische Beweggründe. In einem Gespräch mit Müller, ebenfalls Freiburger Philosoph und früherer Schüler Heideggers, erfährt man in sehr persönlichen Schilderungen von der Zwiespältigkeit im Wesen Heideggers, die tief verwurzelt mit seiner Grundüberzeugung war, dass das Denken nur dann Denken sei, wenn es in der "Antwortlosigkeit" verharre. Vielleicht war es auch das, was ihn letztlich von den Nationalsozialisten trennte, und ihn auf der anderen Seite für dieses Regime nicht nur suspekt, sondern für nationalsozialistische Zwecke auch ungeeignet erschienen ließ. Dabei könnte man Heideggers Position sogar noch als eine radikalere verstehen: Während die Nazis ein System von Macht und Unterdrückungsmechanismen aufbauen wollten (das nämlich selbst nicht in Frage gestellt werden durfte), glaubte Heidegger daran, dass allein die Führungspositionen entscheidend für eine neue Welt sein würden. So schreibt Gerhard Schmidt in seinem Aufsatz "Heideggers philosophische Politik": "Heidegger war gar kein Nationalsozialist, sondern Hitlerist. [...] Für ihn war [der Nationalsozialismus] nicht bloß eine Partei, sondern eine 'Bewegung', und das bedeutet für den Philosophen die Auflösung des Festen, den Aufbruch zu neuen Ufern, die Chance zu geschichtlicher Größe." Und so wie Hitler der Führer für Deutschland sein sollte, wollte Heidegger ein ebensolcher für die Freiburger Universität werden, um eine ungestüme Revolution hervorrufen zu können. Er träumte davon, durch die Inszenierung der Führung die alten Formen aufzubrechen und ein neues Zeitalter einzuläuten.
Doch bald schon sah sich "der Denker des Seins" durch die tatsächlichen Vorgehensweisen des nationalsozialistischen Regimes enttäuscht und trat genau ein Jahr nach seiner Amtsübernahme als Rektor zurück. Er konnte seine Idee der "Eigentlichkeit" oder Rückbesinnung auf die Wesentlichkeit des Menschseins nicht ausreichend umsetzen, d. h. vor allem, dass der Philosoph kein "König" wurde: Heidegger sah sich selbst zwar als denjenigen an, der "im Denken die Wirklichkeit zu durchschauen [vermochte], aber mit diesem Denken allein die Wirklichkeit nicht steuern" konnte, wie Ute Guzzoni in ihrem beachtenswerten Aufsatz "Bemerkungen zu Heidegger 1933" schreibt. Aus dieser Differenz zwischen Erkenntnis- und Veränderungsvermögen resümiert sie: "Das faktische Eingreifen des Denkens, des Praktischwerden der Theorie, nimmt leicht einen gewalttätigen Charakter an; es verkennt, dass es der Mensch oder der Bürger ist, der zu politischer Mitverantwortung aufgerufen ist, und nicht der Philosoph, der Denker, der Wissende als solcher." Trotzdem bleibt die Frage bestehen, warum wieder einmal ein Philosoph an der Macht scheitern musste. Vielleicht liegt es an der ihm immer wieder nachgesagten "Weltfremdheit". Wahrscheinlicher ist jedoch, Gerhard Schmidt zufolge, dass der Denker als Täter fehlging, indem er die Tat verkündete und sich daher gleichermaßen gezwungen fühlte, selbst tätig zu werden, als der sprichwörtliche Ruf (d. h. die Rektoratsübernahme) an ihn erging: "Die ohnehin labile Ordnung war zerbrochen, das angeblich Neue hatte sich noch nicht festsetzen können, die Not der Zeit war umgeschlagen in die Gewinnung eines offenen Horizonts, eines neuen Möglichkeitsspielraums. [...] 'Sein und Zeit' war ein philosophisches, aber ebenso ein prophetisches Buch. Am wenigsten durfte der Prophet selbst sich kleingläubig zeigen." Und so handelte Heidegger als Verkünder einer eigentlichen Ungewissheit, die ihm nicht den Gefallen tat, in das erhoffte goldene Zeitalter umzuschlagen, von dem er geträumt hatte.
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