Music Non-Stop. Techno-Pop

Der Text-Sound der 90er

Von Mischa GayringRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mischa Gayring

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Heute Morgen, / um 4 Uhr 11, als ich / von der Wiesen zurückkam, / wo ich den Tau aufgelesen habe..." Hey, das ist gut. Das ist sogar sehr gut. Rainald Goetz. Klar, wer sonst. Aber, was ist das eigentlich, was "Rave", "Jeff Koons", "Dekonspiratione", "Celebration", "Abfall für alle" zu dem macht, was es ist: Pop? Und was ist das überhaupt: Pop? Antwort: Pop ist...

"Noch mal? O.k., also... Hallo. Mein Name ist" Jochen Bonz, "und ich bin" der Herausgeber von "Sound Signatures", das Buch über das Sie hier reden/schreiben/berichten. "So in Ordnung?" Ja, schon. Aber ich weiß jetzt immer noch nicht was das ist: Pop? O.k., dann nicht, dann versuchen wir es eben anders. Frage: Wer könnte wissen, was das nun ist, dieses "der, die, das" Pop. Ja, wer schon? Wohl nur die, die die ganze Zeit davon reden: also Schriftsteller, Musiker und DJs, Journalisten, Wissenschaftler. Also zum Beispiel: Thomas Meinecke, Hans Nieswandt, Diedrich Diederichsen, Gabriele Klein.

Ja, und genau das macht "Sound Signatures". Inhalt: "1. Pop-Appeal, 2. Gegenwart: zwischen heute abend und morgen früh, 3. Die Sprache der Popkultur, 4. Science-fiction". Alles klar? Nee. "Der kulturelle Raum des Pop liegt - vervielfacht - in Scherben [...]." Genau, der Körper des Pop im zersprungenen Spiegel, zerstückelt. Das ist es. Genau so. Aufsätze sollen Scherben aufsammeln, damit "ein vielgestaltiges Bild" einer "Phänomenologie des Pop" entstehen kann. Identifikatorische Aufsplitterung/Arbeitsteilung: Die "Besoffkis" (Hans Nieswandt) besorgen das mehr oder weniger bedenkenlose Auflabern und die Professoren das Denken (ja, leider!). Mercedes Bunz, die Mitherausgeberin von "de:bug", der Zeitschrift für elektronische Lebensaspekte - ein Muss für jeden, der sich mit Pop beschäftigt -, schreibt über das Mensch-Maschine-Verhältnis. Wie nennt sie's noch gleich? Genau: "Ein Plädoyer für eine Erweiterung der Medientheorie am Beispiel von Kraftwerk, Underground Resistance und Missy Elliot". Kraftwerk: Music Non-Stop. Endlich!

Übrigens: der "Close-Reading-Award" geht dieses Jahr an Thorsten Krämer für sein "Mischverfahren". Das ist echt das Beste, was so an Pop in den letzten drei, vier Monaten rausgekommen ist. Tipp! Kultverdächtig auch Tom Holerts Porträt/Hommage an Jeff Mills (wurde ja auch endlich mal Zeit, dass das mal einer macht!). Enttäuschend dagegen die Rainald Goetz-Exegese von Matthias Waltz. Was schreibt er da noch gleich: "In der Technokultur gibt es kein Begehren mehr. Begehren ist Metonymie, lebt in der Dimension der Verweisung. Die Technokultur ist Genuss der Präsenz." Ja klar, der muss es ja auch wissen. Wie alt ist der noch gleich? 66? Sagt doch schon alles, oder? Der weiß bestimmt nicht mal, wie man "de:bug" schreibt, geschweige denn, wie man's ausspricht. Die Realität ist echt der pure Skandal! Ja, klar: Rainald Goetz ist der Größte..., aber auch der geht jetzt langsam auf die Fünfzig zu und außer Westbam (leider!) kennt der gerade noch den Väth (zum Glück, das gleicht's dann wieder aus). Dass die beiden, also Westbam und der Sven dieses Techno-Ding erst so richtig hochgebracht haben, und dass ohne die so was gar nicht möglich gewesen wäre, weiß ja inzwischen jeder, aber die Frage ist doch: Kennt der Goetz auch die, die jetzt am Start sind? Wohl kaum. Und das ist auch der Punkt: Techno hat sich verändert. Techno ist nicht mehr das, was es noch vor fünf, sechs Jahren war. Dieses Immer-weiter, Immer-mehr, das macht ja gerade Techno aus. Das ist ja erst der Kick. Kurzum: we'll never stop living this way!

Und dann fehlt auch noch ein Beitrag von Tim Staffel. Fettes Minus. Echt. Aber weiter im Text: für seine Wiederentdeckung des expressiven Telegramm-Doppelpunktes "Auch: egal" bekommt Moritz von Uslar einen Award in der Kategorie Style. Eben: besser geht's nicht. Der "Georg-Simmel-Award" geht auch in diesem Jahr wieder an Ulf Poschardt für sein "Money, Money, Money" - Philosophie des Lebens, der Mode, des Geldes. Gut so: weitermachen. Und dann ist da ja noch unser alter Bekannter Diedrich Diederichsen, dem geht die Musik verloren. Aber was soll's: dafür will er den Konsum abschaffen. Krass, oder? So weit wär' nicht mal Marx gegangen. Konsum: Ja, abschaffen. Wird auch geschafft. Weitermachen.

Ansonsten ist noch viel von den Versprechen des Pop die Rede, die allesamt verlockend klingen, aber dann doch nie gehalten werden. Pop als Versprechen, Verschwinden. Pop als Enttäuschung. Woran man sich aber halten kann: Text, Arbeit, Technik, o.k. und Wissenschaft - sind ja nicht alle so drauf wie der olle Waltz. "Die Zeiten, da Popmusik nur noch Stimmen hatte, die trägem Denken willkommene StichwortgeberInnen waren, sind vorbei." Das meint zumindest Barbara Kirchner. Ja, und was soll man da noch hinzufügen, außer vielleicht noch: Kaufen! Kaufen! Kaufen!

Titelbild

Jochen Bonz (Hg.): Sound Signatures. Pop-Splitter.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2001.
309 Seiten, 10,20 EUR.
ISBN-10: 3518121979

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