Ode an die Unvollkommenheit

Urs Allemanns Lyrikband "Holder die Polder" gibt Rätsel auf

Von Katharina IskandarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Katharina Iskandar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Lyrik muss nicht schön sein, doch sollte sie etwas zu sagen haben. Die Zeiten, in denen Gedichte noch einen Hauch von geistiger Schönheit in sich trugen, und in ihren Zeilen Melancholie, Sinnlichkeit und schöpferische Vollkommenheit zu finden sind, scheinen vorbei; heute ist Lyrik auch mal derb: in ihrer Sprache, ihren Bildern, ihren Aussagen.

Urs Allemanns Gedichtband "Holder die Polder" ist ein Beispiel für diese andere Art von Lyrik. Er enthält eine Sammlung von Oden, Elegien und weiteren Gedichtformen. Nüchterne Namen tragen sie: "Alkäisch die erste" bis "Alkäisch die achtzehnte", "Asklepiadeisch die erste" bis "Asklepiadeisch die neunte", und das gleiche Schema findet sich bei "Sapphisch" und "Elegisch" wieder. Im Anhang gibt es schließlich noch eine Vielzahl weiterer Gedichte wie "Hinkfüssig", "Elfsilbig" oder einfach nur "Englisch".

Allemanns Oden und Elegien ranken sich nicht um Gegenständliches, das so einfach im Titel zu benennen wäre. Es ist vielmehr seine Ausdruckskraft, die sich in Bildern und Sprache widerspiegelt: grausam, depressiv und bestimmt von einer durch und durch destruktiven Atmosphäre. Es sind Persiflagen, die jegliche Form des Erhabenen mit nur wenigen Worten zerschlagen, als wären Schönheit, Liebe und das Leben selbst filigrane Bauwerke, die den Worten Allemanns nicht standhalten können.

Immer wieder spricht der Schweizer über den Tod in den verschiedensten Formen, lässt fast in jedem Gedicht Bilder von einzelnen Körperteilen oder Organen einfließen: Menschliches Fleisch, Blut, Augen, Ohren, Lippen, oder eine Hand, "die in die Brust die greift das Herz rauszureissen". Er spielt mit diesen Bildern, als wären sie Bausteine, die auf beliebige Art und Weise zusammengesetzt werden können, und lässt sie über den gesamten Gedichtband verteilt in immer anderen Variationen auftreten.

Die Bilder, die Allemann mit seiner Lyrik hervorruft, sind alles andere als angenehm. Sie wirken provozierend. "Ob vom eignen Herzschlag erschlagen du zu / singen wes und zuckts übern Boden ob du / hinschlugst es vor Augen herauf noch schwarz und / sie es dir abschlug" schreibt er in "Sapphisch die siebte". Bisweilen ist seine Lyrik von einer Thematik geprägt, die jenseits des Ästhetischen liegt. Und so wirken Allemanns Gedichte einfach anstrengend - nicht allein wegen des Bizarren, sondern vor allem, weil sie schwer fassbar sind. Sie stehen da wie ein Rätsel, das man unbedingt lösen möchte. Der Leser entwickelt Ahnungen - so lange, bis sich endlich ein Puzzleteil an das andere fügt.

Die Aussage, die sich dabei ergibt, bleibt stets die gleiche: Es gibt keine Vollkommenheit, in Allemanns Welt existiert lediglich der Wunsch nach ihr. Aber trotz allem ist das, was "Holder die Polder" tatsächlich ausmacht, die Sprache. Sie klingt gut, obwohl sie nur unschöne Bilder hervorruft. Das ist die Stärke Allemanns. Seine Gedichte zu lesen ist deshalb so, als wenn bei einem Lied bloß die Melodie gefällt.

Titelbild

Urs Allemann: Holder die Polder. Oden, Elegien, Andere.
Urs Engeler Editor, Basel 2001.
96 Seiten, 14,80 EUR.
ISBN-10: 3905591189

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