Auf der Suche nach dem Absoluten

Hans-Werner Schütts "Geschichte der Alchemie"

Von Frank MüllerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Müller

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Alchemie ist "die Kunst, gewisse Materalien zu höherem Sein zu veredeln, und zwar derart, dass mit der Manipulation der Materie auch der um ihr Geheimnis ringende Mensch in einen höheren Seinszustand versetzt wird". Sie markiert eine Interferenzzone zwischen Naturphilosophie, exakter Wissenschaft, Kunst und Handwerk. Der Alchimist lässt unterschiedlichste Substanzen (Erden, Harze, tierische und pflanzliche Stoffe, Alkohole, diskrete Metalle und Pneumata, also Hauche oder Geister) in der Hoffnung miteinander reagieren, dass sie sich zu etwas Vollkommenem läutern mögen. Sein Tun ist von der Vorstellung geleitet, dass die Natur 'werdend' sei und 'hervorgebracht' werden müsse. In diesem Transformationsprozess bleibt auch das experimentierende Subjekt nicht unverwandelt: Unterstützt durch Mysterienkulte und Initiationsriten erfährt der Alchimist in seinen Träumen und Ekstasen seine Dissoziation und seinen Tod, aber auch seine anschließende Verjüngung und Wiedergeburt.

Der in Berlin lehrende Chemiker und Wissenschaftshistoriker Hans-Werner Schütt hat eine sachkundige und materialreiche Geschichte dieser Disziplin verfasst, die belegt, dass die Alchemie weit mehr ist als nur eine primitive Vorstufe der heutigen Chemie. In ihr verbinden sich religiöse Ahnungen, leidenschaftlicher Forscherdrang und ein ausgeprägter Sinn für praktische Belange zu einer bisweilen hochexplosiven Mischung. Als (vergebliche) Suche nach dem "Absoluten" trieb sie nicht nur Balthasar Claes, den Protagonisten aus Balzacs Alchemie-Roman in den körperlichen und wirtschaftlichen Ruin. Schütts gelehrte Spurensuche beginnt im Schatten der Pyramiden, in der ägyptischen und griechischen Antike. Sie durchquert die islamische Welt und erlaubt dem Leser einen Blick in die mittelalterlichen Laboratorien, in denen sie Albertus Magnus, Thomas von Aquin oder Roger Bacon bei der Arbeit vorfindet. Das letzte Kapitel widmet sich dem neuen Europa und mit ihm der Kabbala, Paracelsus, von Helmont, Brahe, Newton und Goethe - um nur einige zu nennen.

Fazit: Ein interessantes, innerhalb der Beck-Programmreihe "Medizin und Naturwissenschaften" gut plaziertes und auch ohne die allzu didaktischen Einlassungen des "Dr. Plausibel" gut lesbares Buch.

Titelbild

Hans-Werner Schütt: Auf der Suche nach dem Stein der Weisen. Die Geschichte der Alchemie.
Verlag C.H.Beck, München 2000.
602 Seiten, 35,00 EUR.
ISBN-10: 3406466389

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch