"Sieben Schritte Leben"

Nordrhein-Westfalens Poeten geben sich ein Stelldichein

Von Stefanie SchwaratzkiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Schwaratzki

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Die Dichtung ist heute zerbrochen" schreibt einer von 61 Lyrikern aus Nordrhein-Westfalen im vierten Band der Anthologie "Forum Lyrik". Ein anderer Dichter geht noch einen Schritt weiter, verfasst "Ein Gedicht gegen das Gedicht" und behauptet, dass Gedichte von Verrückten gemacht würden, wobei er sich selbst mit einschließt. Die Ursache für diesen desolaten Zustand ist wohl die Tatsache, dass "immerblaue Dichter, mit hohler Platitüde, Scheiße schwatzen, statt zu kotzen" - so eine weitere Stimme.

Warum sollte der Lyrikbegeisterte trotzdem zu dieser Gedichtsammlung greifen, wenn die Dichtenden scheinbar kein gutes Haar an ihren Werken lassen?

Die Antworten liefern die Gedichte selbst, denn ihre Zeilen strafen die Behauptungen der oben zitierten Herren Dichter Lügen. In "Sieben Schritte Leben" finden fast alle die richtigen Worte, transportieren ihre Gedanken zu Problemen, die jeden ihrer Leser bewegen oder vielleicht bewegen sollten.

Die 124 bislang unveröffentlichten Gedichte dieses Bandes wurden mit dem Ziel zusammengestellt, "den inhaltlichen und sprachlichen Zustand der Lyrik Nordrhein-Westfalens am Beginn des neuen Jahrtausends zu dokumentieren". Diese Blütenlese veranschaulicht jedoch nicht nur das Wesen der Lyrik dieses einen Bundeslandes - vielmehr zeigen die hier versammelten Gedichte den Zustand der Lyrik in der ganzen Welt auf.

Die Dichterinnen und Dichter leben ausnahmslos in Nordrhein-Westfalen, ihre Dichtung aber ist grenzüberschreitend. Schon allein aus dem Grund, weil ihre jeweiligen Geburtsorte sowohl in Deutschland als auch in Russland, China, Bulgarien, Tschechien, in der Schweiz und im Irak zu finden sind. Die deutlichen Unterschiede zwischen den einzelnen Kulturen werden von den entsprechenden Lyrikern wie selbstverständlich in Versform verarbeitet. Die Dichtenden thematisieren dabei nicht nur soziale und kulturelle Schwierigkeiten, sondern beschäftigen sich auch mit politischen und wirtschaftlichen Fragestellungen: "Bewegungsmelder" beispielsweise thematisiert die "Turbulenzen im Vorstand nach der Krise bei Rover" und den damit verbundenen Fall des Aktienkurses.

Bei den Gegenständen der Lyrik handelt es sich zwar um ernste Problematiken, der Zugang dazu ist jedoch zum Teil recht heiter gestaltet: "wie ein Wal lieg ich am Strand / um dort über das Meer zu schreiben / glüh schon krebsrot vor Sonnenbrand / das rot vergeht, der Krebs wird bleiben."

Aufgelockert wird die aufgrund ihrer Themenvielfalt etwas ermüdende Abfolge der Gedichte durch Holzschnitte des Grafikers Horst Dieter Gölzenleuchter. Erschwert wird eine konzentrierte Beschäftigung mit den komplexen Fragestellungen allerdings durch die interne Ordnung der Anthologie. Die Texte sind nicht nach Themenbereichen sortiert, sondern nach dem Alter der Verfasser. Dieses Verfahren ist insofern aufschlussreich, als auf diese Art deutlich wird, womit sich welche Altersstufen beschäftigen. So übt die 15 Jahre alte und damit jüngste Dichterin in ihren Gedichten nicht nur Kritik an der Zerstörung der Umwelt, sondern beschreibt auch die problematische Zeit zwischen Kindheit und Adoleszenz. Die älteren Jahrgänge besprechen hingegen die Schrecken und Nachwirkungen des Krieges oder die Vorzüge des Alters.

Insgesamt gesehen bietet "Sieben Schritte Leben" eine Sammlung vielfältiger Stimmen, deren Reiz vor allem im Thematischen liegt. Durch diese Bandbreite sollte es jedem Leser möglich sein, sich von den Gedichten ansprechen zu lassen, wenn es auch nur eine einzelne Zeile ist, vor allem dann, wenn er "vergessen [hat] / was eigentlich wichtig war".

Titelbild

Volker W. Degener / Hugo Ernst Käufer (Hg.): Sieben Schritte Leben. Neue Lyrik aus Nordrhein-Westfalen.
Grupello Verlag, Düsseldorf 2001.
144 Seiten, 12,70 EUR.
ISBN-10: 3933749581

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