Butler-Bashing

Untersuchungen zur sozialen Konstruktion von Geschlecht, Ethnizität und Klasse

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Seit geraumer Zeit werden die Differenzen in der Geschlechterdifferenz auf Symposion und Tagungen, in Monographien und Sammelbänden untersucht. Insbesondere werden immer wieder die Differenzkategorien Ethnizität und Klasse in Beziehung zur Differenzkategorie Geschlecht gesetzt und deren Verhältnis und Beziehungsgeflecht untersucht. Dennoch, darüber herrscht kein Zweifel, sind noch viele Fragen offen, beziehungsweise herrscht über deren Beantwortung weithin Dissens. Daher greift man erwartungsvoll zu dem von Claudia Rademacher und Peter Wiechers herausgegebenen Sammelband mit dem Titel "Geschlecht, Ethnizität, Klasse. Zur sozialen Konstruktion von Hierarchie und Differenz", vermutet man doch, Erhellendes zum Diskurs über das Verhältnis der drei Kategorien zu erfahren. Doch schon ein Blick in das Inhaltsverzeichnis beschert eine erste Enttäuschung. Werden doch je vier Aufsätze unter die drei Rubriken "Geschlecht", "Ethnizität" und "Klasse" eingeordnet und so angezeigt, dass die Kategorien je unabhängig voneinander untersucht werden sollen, womit ihr Beziehungsgeflecht künstlich suspendiert wird.

Die Texte, die auf die 1999 in Münster vom Forschungskolloquium "Gesellschaftstheorie und Zeitdiagnose" abgehaltene Tagung "Differenz und Ungleichheit" zurückgehen, wenden sich den verschiedenen sozialkonstruktivistischen Theorien zu und versuchen, deren "Erklärungskraft und Grenzen [...] anhand des Problemfeldes 'soziale Ungleichheit'" auszuloten, wie die Herausgeberinnen in der Einleitung schreiben. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob der Sozialkonstruktivismus ein begriffliches Instrumentarium besitzt, das geeignet ist, die "'harten Fakten' der Ungleichheit zwischen Klassen und Lebenslagen, zwischen ethnischen Gruppen und zwischen den Geschlechtern" zu erfassen und eine "normative Kritik" an Verhältnissen zu begründen, "die von den Gesellschaftsmitgliedern als ungerecht empfunden werden". Die Herausgeberinnen unterstreichen also noch einmal die längst überwunden geglaubte Separation der analytischen Bereiche Geschlecht, Klasse und Ethnizität.

Allerdings erweist sich bei der Lektüre der Beiträge, dass zumindest ein Teil von ihnen recht willkürlich unter die einzelnen Rubriken gezwungen worden ist. Denn sie behandeln durchaus das Verhältnis etwa von Klasse und Geschlecht zueinander, wie der kenntnisreiche Beitrag von Pierre Bourdieu, oder sie beleuchten "Staat, Nation und Geschlecht", wie der ebenfalls lesenswerte Aufsatz von Gabriele Mordt.

Auch die Herausgeberin Claudia Rademacher bricht in ihrem Beitrag "Geschlechterrevolution - rein symbolisch" die strikte Dreiteilung auf. Doch ist das auch schon das Beste, was man über ihren Aufsatz sagen kann, in dem sie das bei einigen Soziologinnen beliebte und von Gesa Lindemann und Barbara Duden vorexerzierte Butler-Bashing fortsetzt. Rademacher wirft Butler, deren "Theoriedesign" sie die Begründungsfähigkeit eines "gesellschaftskritischen Anspruchs" rundweg abspricht, "Perspektivverengung" auf eine "kulturalistischen Position" und "sprachtheoretischen Monismus" vor. Jedoch wird nicht ganz klar, was mit letzterem gemeint sein könnte, da sich außerhalb der Sprache bekanntlich über nichts reden lässt. Zudem könnte man den Vorwurf vermutlich mit dem gleichen (Un-)Recht gegen jeden Sprachtheoretiker seit dem linguistic turn richten.

Zudem zeichnet sich Rademachers Umgang mit den Texten der Philosophin und Professorin für Rhetorik an der University of California, die sie zur Literaturwissenschaftlerin macht, nicht immer durch Genauigkeit aus. Der Körper, so versucht sie etwa den Monismus-Vorwurf durch ein Butler-Zitat zu belegen, gehe "nur rhetorisch über den Sprechakt hinaus, den er zugleich ausführt'". Schlägt man jedoch bei Butler nach, wird schnell deutlich, dass das angeführte Zitat zur Beweisführung untauglich ist. Denn tatsächlich spricht Butler davon, dass der Körper "nicht nur Sedimentierung" der ihn konstituierenden "Sprechakte" sei. Scheitere diese Konstitution, so werde dies daran "deutlich, wie der Körper rhetorisch über den Sprechakt hinausgeht". Rademacher hat also eine zwar kleine, jedoch entscheidende Passage unterschlagen. Auch ein zweites lässt sie unerwähnt: Butler betont im weiteren, dass "der Körper [...] über das Sprechen hinaus[geht], das er hervorbringt". Eine Auffassung, die vom Vorwurf des sprachtheoretischen Monismus schwerlich getroffen wird. Ebenso wenig überzeugt Rademachers Kritik, dass das von "Butler mit großem argumentativen Aufwand eingeführte 'Außen der Intelligibilität' [...] letztlich doch rhetorisch erzeugter Schein" bleibe. Denn davon, dass das "Außen der Intelligibilität" oder überhaupt irgendetwas aufgrund seiner rhetorischen Erzeugung bloßer Schein sei, (ein Begriff, der ja nur als Gegensatz zu einem tatsächlichen Sein Sinn macht), ist bei Butler nicht die Rede. Kurz: Rademachers Konstrukt trifft Butlers Theorie auch diesmal nicht.

Gleiches gilt für ihre Kritik an Butlers politischem Konzept der queer-Praktiken. "In Butlers Konzeption", so Rademacher, werde "dieser politische Programmpunkt generalisiert". Rademacher versucht gar nicht erst, diese Behauptung anhand von Butlers Texten zu belegen, sondern zieht hierzu Texte aus der Sekundärliteratur heran. Doch ist Butlers Theorie ausdrücklich keine 'Theorie für alles', aus der sich eine erschöpfende politische Praxis ableiten ließe. Offenbar irrte Sabine Hark vor einigen Jahren, als sie meinte, dass man "schlicht nicht daran vorbei sehen" könne, dass Judith Butlers Theorie "nicht ohne den materialen Bezug auf lesbische Praxisformen und Repräsentationen funktioniert". Rademacher kann!

Doch zitiert sie nicht nur gelegentlich unvollständig und verzerrend, sondern baut zudem theoretische Pappkameradinnen auf, wenn sie gegen angebliche (post-)feministische Positionen darauf hinweist, dass "die Geschlechterasymmetrie kein unabhängiges Merkmal sozialer Strukturierung" sei, sondern "systematisch mit der jeweiligen Stellung im sozialen Raum, sprich: mit der Klassenzugehörigkeit" variierte. Als sei es innerhalb des (post)-feministischen Diskurses eine virulente Position zu behaupten, dass dies nicht der Fall sei.

Ärgerlich ist die Polemik, die Rademacher gelegentlich anstelle von Argumenten ins Feld führt: Die "gesellschaftstheoretisch naive Feier von 'queer'-Praktiken", spöttelt sie, gleiche einem "Glasperlenspiel luxurierender Intellektueller".

Titelbild

Claudia Rademacher / Peter Wiechens (Hg.): Geschlecht - Ethnizität - Klasse. Zur sozialen Konstruktion von Hierarchie und Differenz.
Verlag Leske und Budrich, Leverkusen 2001.
300 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3810028886

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