Verdi im Kontext

Alfred Marquart über Verdi und Italien

Von Christina UjmaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Ujma

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Alfred Marquarts Biographie "Flieg, Gedanke..., Giuseppe Verdi - Sein Leben, sein Schaffen, seine Zeit" bietet fast im Übermaß, was vielen deutschen Werken über Verdi fehlt, umfassende Informationen über den Kontext der Opern, über italienische Kultur und Geschichte des 19. Jahrhunderts. Das Eingangskapitel beschreibt Verdis Heimatort Bussetto und seine Region, die Emilia Romagna in großer Ausführlichkeit als eine Welt der einfachen und elementaren Gefühle und der guten Küche. Dieses Kapitel, das den Titel "Die kleine Welt des Giuseppe Verdi" trägt, bietet ein bisschen Italienkitsch, der aber im zweiten Kapitel nicht fortgesetzt wird, denn da geht es um die politische Lage im Italien der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, die zu Sentimentalitäten keinerlei Anlass gibt. Das Land war in zahllose Fürstentümer geteilt, die oft von ausländischen Dynastien regiert wurden. Immerhin gab es eine Bürgerbewegung, die Einheit und Republik anstrebte, das Risorgimento. In dieser hatte Verdi seine geistigen und kulturellen Wurzeln, sagt Marquart: sein Ziehvater Barezzi war ein progressiver Republikaner, ein Stipendium von Bussettaner Bürgern finanzierte sein Studium in Mailand, wo er in demokratischen Zirkeln und Salons verkehrte.

Mit "Nabucco" hat er jener Bewegung den musikalischen Ausdruck gegeben, schreibt der Autor, die unterdrückten Italiener konnten sich in den geknechteten Hebräern wiederfinden, der berühmte Chor "va pensiere sull'ali dorate" gilt den Italienern bis heute als heimliche Nationalhymne und seine deutsche Übersetzung "Flieg, Gedanke..." ist der Titel von Marquarts Biographie. Der vom späten Verdi verbreiteten Enstehungslegende schenkt der Autor allerdings wenig Glauben, wie er auch sonst mit den zahlreichen Verdi-Legenden eher ironisch umgeht.

Nach dem Erfolg von "Nabucco" setzt Verdi die nationale Themenwahl für seine Opern fort, oft genug im historischen Gewand, wie in den Opern "I Lombardi", "Ernani" oder "Attila", was ihn zur künstlerischen Seele des patriotischen Italiens macht. Verdi bringt Königsmord, Befreiungskampf, ja Revolution auf die Bühne, was die Zensur sehr störte und dem Komponisten des öfteren Ärger einbrachte. Diese Probleme hatte er bei der Oper "La battaglia di Legnano" nicht, diese Revolutionsoper wurde im Januar 1849 in der römischen Republik uraufgeführt, was Verdi zu dem Komponisten der Revolution machte, so der Autor, der im Unterschied zu anderen Autoren den ersten Gebrauch des Slogans "Viva Verdi" als Revolutionsparole hier verortet und nicht als spätere Abkürzung für Vittorio Emmanuele Re D'Italia.

Vielleicht lag es an diesem rebellischen Ruf, dass die venezianischen Zensurbehörden seine Oper "Le Maledizione", nach einem Stoff von Victor Hugo, im Jahr 1850 schlichtweg verboten. Marquart berichtet, wie Verdi und sein Librettist Piave sich in langwierigen Verhandlungen auf weitgehende Änderungen einließen. Das Resultat hieß dann "Rigoletto" und spielte in dunkler Vergangenheit. Während der brisante Charakter des Textes weitgehend verschwand, setzte Verdi alles daran, die musikalische Form der Oper zu revolutionieren, was ihm bestens gelungen ist. Der Ärger mit der Zensur wiederholte sich 1858 mit der Oper "Un ballo in maschera", die einen Königsmord thematisiert.

1859 kamen diese Schwierigkeiten zu einem für Verdi erfreulichen Ende, durch Cavours Geheimverträge resultierte der Krieg, den Frankreich und Piemont 1959 gegen Österreich führten, in der italienischen Staatsgründung. In der Toskana und in Verdis Heimat, der Emilia Romagna, kam es zu Volksaufständen für einen Anschluss an den neuen Staat, die Verdi dadurch unterstützte, dass er die Waffen für die Bussettaner Bürgerwehr finanzierte. Cavour, den Verdi sehr verehrte, überredete ihn fürs erste italienische Parlament zu kandidieren. Verdi, der ursprünglich den republikanischen Ideen Giuseppe Mazzinis anhing, war, wie so viele seiner ehemaligen Gesinnungsgenossen, bald mit dem neuen italienischen Staat nicht sonderlich zufrieden. Die pompöse Monarchie, die Italien nun geworden war, vernachlässigte die soziale Frage, ließ die Verarmung der Landbevölkerung und Massenauswanderung zu, was Verdi sehr erboste und zu sozialem Engagement veranlasste. Auf seinem Gut Sant'Agata kümmerte er sich um die Landbevölkerung und ließ in der Nähe ein Krankenhaus errichten, berichtet Marquart, der allerdings den Beteuerungen des späten Verdis, er sei eigentlich nur ein Bauer, wenig Glauben schenkt. Trotz seiner ländlichen Wurzeln sei der Komponist eher ein ziemlich gebildeter Kosmopolit als ein einfacher Landmann gewesen.

Marquart ist oft weniger an Verdis Musik als an seiner Politik interessiert, die er kenntnisreich und immer im Kontext der Kompositionen diskutiert, obwohl er auch auf unpolitische Werke gründlich eingeht. Aber in dem Maß, in dem in den späteren Jahren das Risorgimento als Inspirationsquelle für Verdis Opern verblasste, verliert sich auch die Originalität von Marquarts Ansatz und die Lebhaftigkeit der Darstellung, obwohl das Spätwerk, insbesondere "Don Carlos" und "Aida" thematisiert werden. Eine Ausnahme stellt seine hervorragende Diskussion des Konflikts zwischen Wagner und Verdi dar. Es handelte sich hierbei weniger um eine persönliche Rivalität, als um eine zwischen zwei musikalischen Schulen. Persönlichen Charakter konnte die Konkurrenz schon allein deshalb nicht haben, weil Wagner viel zu sehr mit seinem Kampf gegen das Judentum in der Musik beschäftigt war, als dass er dem italienischen Kollegen sonderliche Aufmerksamkeit gewidmet hätte. Verdi dagegen konnte, trotz genereller Abneigung gegen die kulturlosen Deutschen, Wagner eine gewisse Anerkennung nicht versagen, missbilligte aber dessen Einfluß auf die junge Generation der italienischen Komponisten. Insgesamt standen sich der Walhalla-Apologet Wagner und der bürgerliche Humanist Verdi musikalisch, politisch und persönlich viel zu fern, als dass sie einander hätten beeinflussen können, so Marquarts Fazit.

Marquart schätzt Verdi, aber er hält Distanz zu ihm und scheut sich nicht, ausführlich auf die negativen Eigenschaften des Komponisten einzugehen. Verdi erscheint in "Flieg, Gedanken..." als cholerisch, hypochonderisch und depressiv, ein Mann, der mit seinen Launen Freunde, Mitarbeiter und seine Gefährtin Giuseppina quälte. Diese freundlich-kritische Erzählhaltung macht Marquarts Biographie zu einem angenehmen Leseerlebnis, das durch die schöne Ausstattung des Buches noch verstärkt wird.

Titelbild

Alfred Marquart: Flieg, Gedanke.... Guiseppe Verdi - sein Leben, sein Schaffen, seine Zeit.
Parthas Verlag, Berlin 2000.
294 Seiten, 24,50 EUR.
ISBN-10: 3932529847

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